© KHK EViR/Marla Kaminsky

Judenviertel

Erste urkundliche Belege für in Münster ansässige Juden gehen auf 1127/1128 zurück, spätestens um 1300 gab es dann eine jüdische Gemeinde, die damit zu den ältesten im nordwestdeutschen Raum gehörte. Über den Rechtsstatus der Mitglieder dieser ersten jüdischen Gemeinde ist quellenbedingt wenig bekannt; immerhin gibt es Hinweise darauf, dass Juden auch in Münster – wie damals üblich – das Bürgerrecht erwerben konnten. Attraktiv war dieses v. a. durch den damit verbundenen Gerichtsstand vor dem städtischen Gericht, was gerade bei überregionalen Handelsgeschäften von Vorteil war. Es ist anzunehmen, dass man in Münster wie auch andernorts vor der Erlangung des Bürgerrechts zunächst von den Vorstehern der jüdischen Gemeinde (Kahal) als Mitglied der Gemeinde aufgenommen sein musste. Die Gemeinde besaß dadurch ein erhebliches Mitgestaltungsrecht bei der Frage, welche Juden in Münster Bürger werden konnten.

Die Münsteraner Juden siedelten mutmaßlich räumlich nah beieinander, ohne dass es den Zwang gegeben hätte, nur in einem bestimmten, gar randständigen Areal zu siedeln. Vielmehr lag das Judenviertel ausgesprochen zentral im Bereich des heutigen Syndikatplatzes hinter Stadtweinhaus und Rathaus. Diese Lage ist ein Hinweis auf die wirtschaftliche Bedeutung der Juden für die Stadt; zumindest einige Familien waren in der Region gut vernetzt und dürften durch Handel und Geldverleih nach und nach zu Wohlstand gekommen sein. Darauf deutet auch der Fund eines Münzschatzes mit etwa 2.000 Silbermünzen und 30 Schmuckstücken aus der Mitte des 14. Jahrhunderts hin, der bei Ausgrabungen im heutigen Stadtweinhaus gefunden wurde und möglicherweise von dort ansässigen Juden in der Verfolgungszeit des Pestjahres 1350 versteckt worden war.  

Das älteste in Münster gefundene jüdische Grabsteinfragment aus dem Jahr 1313/14
© Stadtmuseum Münster

Spätestens um 1300 gab es im Judenviertel jene gemeinschaftlichen Orte, die für das Gemeindeleben zentral waren: Synagoge und Mikwe (Ritualbad), eine Verkaufsstätte für koscheres Fleisch (Scharne) und den einzigen in Westfalen vor 1350 nachweisbaren jüdischen Gerichtshof (Bet Din). Außerhalb des Viertels, ja der damaligen Stadtmauer lag der jüdische Friedhof. Ein eigener Friedhof war für die Gemeinde von zentraler Bedeutung und gilt in der Forschung für die Zeit vor Mitte des 14. Jahrhunderts als Schlüsselindikator einer rechtlich eigenständigen Gemeinde. Denn ein Friedhof war ein generationenübergreifendes Projekt, da die Gräber auf ewig unberührt bleiben sollten und es Brauch war, sich möglichst bei den eigenen Vorfahren bestatten zu lassen. Die Bestattungsregeln führten daher dazu, dass Familien, die ihre Toten auf dem Münsteraner Friedhof bestatteten, langfristig an die Gemeinde gebunden blieben. So formte sich eine über das Stadtgebiet hinausgehende Gemeinschaft, die sich zugleich als Rechtsgemeinschaft verstand und bei innerjüdischen Rechtsangelegenheiten den vor Ort ansässigen jüdischen Gerichtshof anrief. Dokumentiert ist dies u. a. in Scheidungsurteilen, die das Gericht für jüdische Ehepaare aus Münster und umliegenden Orten (Beckum und wohl auch Rheine) ausstellte. Im Unterschied zu den Bestimmungen für Christen waren Scheidungen für Juden übrigens nicht nur zulässig, sondern auch üblich. Mit seinen religiösen und gerichtlichen Einrichtungen gehörte Münster neben Dortmund, Minden, Osnabrück und Soest zu den fünf jüdischen ‚Vororten‘ in Westfalen.

Am heutigen Syndikatplatz befindet sich eine Gedenktafel, die an die jüdische Siedlung und ihre Vernichtung 1350 erinnert.
© KHK EViR/Marla Kaminsky

Das Ende dieser ersten jüdischen Gemeinde in Münster ist – wie auch andernorts – mit den Pestwellen Mitte des 14. Jahrhunderts und den damit einhergehenden Pogromen gegen Juden verbunden, denen man die Schuld an der Pest gab. Der ehemals jüdische Immobilienbesitz wurde nach der Auslöschung der Gemeinde vom Bischof als Stadtherrn eingezogen und an Christen neu vergeben.

Erst nach der Niederschlagung der Täuferherrschaft 1535 durch Bischof Franz von Waldeck (1532–1553) konnte für knapp zwanzig Jahre erneut eine kleine Gruppe von Juden zumindest kurzfristig in der Stadt Fuß fassen. Denn der Stadtherr hatte nach seinem Sieg über die Stadt deren Freiheiten eingeschränkt und u. a. das ‚Privilegium de non tolerandis Judaeis‘ eingezogen, welches ihr erlaubte, Juden den Aufenthalt und die Berufsausübung zu untersagen. Mit der endgültigen Wiedererlangung der städtischen Freiheiten 1554 erließ der Rat aber umgehend ein neuerliches Ausweisungsdekret. Danach durften sich Juden bis Anfang des 19. Jahrhunderts nur noch für einige Tage in Münster aufhalten, etwa im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen mit Münsteraner Bürgern oder während der drei jährlichen Sendmärkte. Denn per Reichsgesetz war Juden auf überregionalen Wochenmärkten der Handel erlaubt, und gegen dieses Recht konnte auch die Stadt nichts unternehmen.

Ulrike Ludwig

 

Zum Weiterlesen

Diethard Aschoff: Die Geschichte der Juden in Westfalen im Mittelalter, Berlin 2006.

Bernhard Brilling, Helmut Richtering (Hg.): Westfalia Judaica. Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe 1005-1350, Münster 1992.