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Wie erforscht man die Vereinheitlichung von Recht?

Bericht über die zweite Jahrestagung vom 25. bis 27. September 2023

von Benjamin Seebröker

Zum zweiten Mal lud das Kolleg Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und aus der ganzen Welt zur Jahrestagung nach Münster ein. Die Tagung setzte sich zum Ziel, verschiedene Prozesse der Vereinheitlichung von Recht zu beleuchten, was zugleich das Jahresthema des abgelaufenen akademischen Jahres am Kolleg war. Sie brachte Forschende aus den Disziplinen der Rechtsgeschichte, der Anthropologie, dem islamischen und öffentlichen Recht sowie der Geschichte zusammen, um gemeinsam und anhand verschiedener Ansätze und Beispiele über das komplexe Phänomen der Rechtsvereinheitlichung zu diskutieren. In den Blick kamen so unterschiedliche Formen von Standardisierung oder Vereinheitlichung, die sowohl auf der normativen Ebene in einzelnen Rechtsfeldern als auch in der Rechtspraxis zum Tragen kommen konnten und in verschiedenen Epochen und Gesellschaften zu beobachten waren. Dazu gehören sowohl Versuche, Recht oder Gerichtsverfahren in bestimmten Herrschaftsgebieten zu vereinheitlichen, als auch moderne Rechtskodifikationen. Ulrike Ludwig betonte in ihrem Eröffnungsvortrag, dass Rechtseinheit niemals absolut sei, obwohl sie immer noch häufig als das vollkommenere Gegenstück zu Rechtsvielfalt angesehen werde. Je nach Perspektive und Forschungsinteresse können wir immer auch Phänomene von Pluralität in scheinbar einheitlichen Rechtsordnungen und Aspekte von Einheit innerhalb von Rechtsvielfalt ausmachen. Darüber hinaus können Prozesse der Standardisierung oder Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung innerhalb sozialer Gruppen, Gesellschaften oder geografischer Einheiten immer auch zu neuen Formen von Rechtspluralität führen. Diese Verflechtung von Vielfalt und Einheit im Recht und in der Rechtspraxis besser zu verstehen, ist ein zentrales Erkenntnisinteresse des Kollegs.

Im Eröffnungsvortrag wies Ulrike Ludwig auf die inhärente Spannung zwischen Rechtseinheit und -vielfalt hin.
© khk / Michael Möller

Fellows, Mitglieder und Alumni des Kollegs diskutierten gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Münster und dem Ausland ein außerordentlich breites Themenspektrum, das von der römischen Antike über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert reichte und Gebiete in Europa, Afrika, Lateinamerika sowie Ostasien umfasste. In neun Vorträgen wurden nicht nur Prozesse der Rechtsvereinheitlichung näher beleuchtet, sondern es wurde auch gefragt, wie diese mit politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, kurzfristigeren Verschiebungen und langfristigen Entwicklungen verflochten waren. Die Vorträge verteilten sich auf drei Sektionen, die jeweils einen potenziell treibenden Faktor von Vereinheitlichung beleuchteten: Gesetzgebung, Gerichte und Wissenschaft.

Der Abschnitt über die Gesetzgebung befasste sich mit einheitlichen Gesetzen als Mittel der Konsolidierung von Souveränität und als Ausdruck von Herrschaftsansprüchen. Dies wurde von Elsemieke Daalder (Münster) für das Römische Reich am Beispiel von Justinians Corpus Iuris Civilis, einem monumentalen Werk der Rechtskodifikation, und von Sarah Albiez-Wieck (Münster) anhand der Reformversuche des Steuer- und Abgabensystems in den spanischen Kolonien in Lateinamerika gezeigt. Dass Rechtsstandardisierungen jedoch keine starke, zentralisierte Instanz benötigen und auch die Anerkennung lokaler Gesetze umfassen kann, wurde im Vortrag von Andrea Nicolas (Berlin/Münster) über rechtliche Vereinheitlichungsbestrebungen der Oromo in Äthiopien deutlich.

Elsemieke Daalder und andere Vortragende befassten sich mit der Gesetzgebung als Ausdruck herrscherlicher Souveränität.
© khk / Michael Möller

In der anschließenden Sektion gab Marco Cavarzere (Venedig) am Beispiel der päpstlichen Gerichte in der Frühen Neuzeit wertvolle Einblicke in die Versuche, Gerichtsverfahren trotz heterogenen Rechts zu standardisieren. João Figueiredo (Münster) stellte in einer faszinierenden Analyse das Justizwesens in Angola um 1800 als „normative fabric“ dar. Angola wies eine andere Rechtsstruktur als Europa auf, die in erster Linie darauf ausgerichtet war, die Funktion der Region als wichtiges Glied innerhalb der Versorgungskette des Sklavenhandels sicherzustellen. Der enge Zusammenhang zwischen Rechtseinheit und Rechtspluralität wurde schließlich im Vortrag von Nora Markard (Münster) besonders deutlich. Sie stellte fest, dass die allgemeinen Menschenrechte zwar Anspruch auf Einheitlichkeit erheben, in ihrer Anwendung jedoch für spezifische lokale und kulturelle Kontexte angepasst werden müssen, was als eine spezifische Form von Pluralität gedeutet werden kann.

In der letzten Sektion wurde untersucht, wie Wissenschaft zur Vereinheitlichung von Recht und Rechtspraxis beitragen kann. Am Beispiel des mittelalterlichen Kirchenrechts zeigte Stephan Dusil (Tübingen) auf, welche bedeutende Rolle das Decretum Gratiani für ein einheitliches Eherecht spielte. Er machte aber zugleich deutlich, dass bei der praktischen Anwendung der Dekrete ein erheblicher Spielraum für Anpassungen blieb. Marju Luts-Sootak (Tartu) wandte sich dem 19. Jahrhundert zu und bot eine differenzierte Perspektive auf die Entwicklung des Privatrechts in den baltischen Gouvernements und das Werk von Friedrich Georg Bunge. Im Gegensatz zu anderen Kodifizierungen des Privatrechts in Europa während dieser Zeit war dessen Werk kein Versuch, das Privatrecht zu vereinheitlichen, sondern fasste vielmehr die verschiedenen Rechtsnormen der baltischen Ostseeprovinzen zusammen. Der letzte Vortrag von Kenichi Moriya (Osaka) über die Rechtsmodernisierung im Japan des 19. Jahrhunderts machte allen Teilnehmern noch einmal deutlich, dass der Begriff des Rechts in verschiedenen Gesellschaften sehr unterschiedlich verstanden werden kann und dass der kulturelle Kontext von größter Bedeutung ist, um zu verstehen, wie und warum es unter bestimmten Umständen zu Prozessen der Rechtsvereinheitlichung kam.

Jahrestagung 2023

© khk / Michael Möller
  • © khk / Michael Möller
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  • © khk / Michael Möller
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In der Diskussion der Vorträge war erkennbar, dass die Interdisziplinarität und die große Bandbreite der Themen zuweilen herausfordernd waren. Teilweise werden in verschiedenen Wissenschaftsbereichen dieselben Begriff verwendet, mit denen aber unterschiedliche Dinge gemeint sind. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines kontinuierlichen interdisziplinären Dialogs und einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit, um bisher gewonnene Einsichten in die komplexen Beziehungen zwischen Recht, Gesellschaft und Prozessen der Rechtsvereinheitlichung vertiefen zu können. Die lebhaften Diskussionen regten gerade auch deshalb zum Nachdenken an, weil so viele verschiedene Disziplinen beteiligt waren. Insgesamt erwies sich die Konferenz damit als fruchtbare Plattform, um sich über Prozesse der Rechtsstandardisierung und -vereinheitlichung auszutauschen und neue Einblicke in ihre Verflechtung mit politischen, sozialen und kulturellen Faktoren zu erhalten.

Auch außerhalb des akademischen Konferenzprogramms herrschte in den Pausen und bei den gemeinsamen Abendessen eine angenehme und sehr freundliche Atmosphäre, die von angeregten Gesprächen geprägt war. Es wurden neue Bekanntschaften geschlossen und aktuelle sowie kommende Forschungsprojekte diskutiert. Die Ergebnisse des reichhaltigen Austauschs auf der Konferenz werden die Arbeit am Kolleg in Zukunft zweifellos weiter beflügeln.

Hier gelangen Sie zum Programm der Jahrestagung.

© khk / Heiner Witte

Über den Autor

Benjamin Seebröker ist Frühneuzeit-Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Käte Hamburger Kolleg Münster. Neben einem Schwerpunkt in Kriminalitäts- und Strafrechtsgeschichte forscht er zum Zusammenhang von rechtlicher und gesellschaftlicher Pluralität.

Zitieren als:

Seebröker, Benjamin, Wie erforscht man die Vereinheitlichung von Recht? Bericht über die zweite Jahrestagung vom 25. bis 27. September 2023, EViR Blog, 29.11.2023, https://www.uni-muenster.de/EViR/transfer/blog/2023/20231129annualconference.html.

Lizenz:

This work is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License.