„Lumineszenz ist ein bezauberndes Phänomen“
Herr Prof. Strassert, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?
Übergeordnet interessieren wir uns für die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie. Als Chemiker beschäftige ich mich mit sogenannten Koordinationsverbindungen, schwerpunktmäßig mit Übergangsmetallkomplexen, die angeregt werden können und die aufgenommene Energie dann in andere Signale umwandeln. Solche Prozesse sind zum Beispiel für Bildschirm- oder Beleuchtungstechnologien interessant, insbesondere aber auch für die molekulare Bildgebung und die Phototherapie in der Biomedizin. Unser Ziel ist es, spezielle Moleküle zu entwickeln, mit denen wir Erkrankungen sichtbar machen und sie eventuell auch behandeln können. Dabei interessieren wir uns zum Beispiel für antibiotikaresistente Erkrankungen, denn nach wie vor ist es eine große Herausforderung, bakterielle Infekte genau zu diagnostizieren und gezielt zu beseitigen. Wir möchten einige unserer synthetisierten Moleküle nutzen, um gefährliche Keime sichtbar zu machen und abzutöten. Dabei soll ein lichtgesteuertes Antibiotikum möglichst gezielt an Bakterien oder die von ihnen gebildeten Biofilme binden, diese zum Leuchten bringen und einen Teil der aufgenommenen Energie auf den Sauerstoff in der Umgebung übertragen. Der Sauerstoff wird dadurch hochreaktiv, greift die Keime an und vernichtet sie. Darüber hinaus möchten wir Moleküle dazu nutzen, Bakterien und Biofilme durch die Lumineszenz- oder die photoakustische Bildgebung sichtbar zu machen. Wir senden einen gepulsten Lichtstrahl aus, der im Gewebe zu Wärme umgewandelt wird. Die dadurch freigesetzte Energie kann als akustische Welle per Ultraschall aufgespürt werden.
Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?
Ich denke, dass ich sehr zielstrebig bin. Wenn etwas nicht funktioniert, dann werde ich richtig unruhig: Warum leuchtet zum Beispiel bei einer Messung ein Molekül nicht? Schon im Kindesalter war ich sehr neugierig. Ich habe zum Beispiel die Mechanismen hinter Spielzeugen untersucht, in der Küche mit einfachen Chemikalien oder auf dem Dachboden mit Lötkolben und Schaltkreisen experimentiert. Heute ist mein Hintergrund sehr interdisziplinär – ich bin Apotheker und Chemiker, habe in der organischen Chemie promoviert, war während der Habilitation in der Physik tätig und bin jetzt Professor in der anorganischen Chemie. Dadurch habe ich bestimmte „sprachliche“ Kompetenzen mitbekommen, die es mir erleichtern, in einem interdisziplinären Umfeld tätig zu sein. Es macht mir große Freude, mich mit Kooperationspartnern auszutauschen, voneinander zu lernen und gemeinsam Dinge zu entwickeln.
Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?
Die Themen Antibiotikaresistenz und Biofilme liegen mir sehr am Herzen. Ich sehe ein großes Problem auf uns Menschen zukommen, wenn Antibiotika zum Teil unverantwortlich verschrieben werden, man sie in manchen Ländern ohne Rezept erhalten kann und sie zudem in der Massentierhaltung eingesetzt werden. Die Krebsdiagnose und Krebsbehandlung sind für mich ebenfalls wichtige Themen, zu denen ich mit meiner Forschung beitragen möchte. Auch wenn wir uns in unserer Arbeitsgruppe vor allem für die Koordinationschemie interessieren, haben wir auch immer eine Anwendung im Sinn – mein erster Hochschulabschluss als Apotheker lässt mich nicht los.
Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?
Das ist das Fluoreszenzspektrometer. Ohne dieses Gerät läuft bei uns die Hälfte der Arbeit nicht. Es kann uns sagen, wie lange Moleküle im angeregten Zustand verweilen, welche Energie sie aufnehmen und abgeben können – und mit welcher Effizienz sie das tun. Darüber hinaus teilt es uns mit, ob Moleküle sich zersetzen, wenn sie mit Licht angeregt werden. In Zukunft versuchen wir, das Gerät mit dem Fluoreszenzmikroskop zu verkuppeln: Die Signale, die wir unter dem Mikroskop erhalten und sehen, bringen wir über eine optische Faser an das Spektrometer und können sie da ganz genau untersuchen.
Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?
Lumineszenz. Leuchtende Moleküle und die Quantenmechanik, die dahintersteht. Das finde ich bezaubernd. Generell begeistert mich auch die Emission anderer elektromagnetischer Strahlung, zum Beispiel bei radioaktiven Stoffen. Winzige Teilchen befinden sich dabei in einem angeregten Zustand, relaxieren und geben eine elektromagnetische Welle ab, die mit dem Auge oder mit anderen Detektoren wahrgenommen werden kann.
Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?
Die Entstehung des Lebens. Die Vielfalt von Lebewesen ist einfach faszinierend: Viren, Bakterien, Pilze, Einzeller, Insekten, Algen, Tiere, Krebszellen. Wir Wissenschaftler werden fortlaufend herausgefordert, wenn wir Nanoteilchen oder Moleküle intelligent funktionalisieren wollen und stellen immer wieder mit Erstaunen fest, dass es häufig ganz anders kommt als ursprünglich geplant. Dass bestimmte Organismen wiederum Licht einfach einfangen können, diese Energie dann chemisch speichern und das die Grundlage für unsere Nahrungsmittel und Energieträger ist, begeistert mich. Wenn man solche grundlegenden Dinge der Natur verstanden hat, kann man auch besser verstehen, wie man tatsächlich Zellen, Organe oder Organismen mit Licht heilen oder steuern kann.
Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?
In unserer Wissenschaft ist ganz viel handwerkliches Geschick gefragt. Wenn man im Syntheselabor sein Handwerk nicht beherrscht, fliegt einem im schlimmsten Fall alles um die Ohren oder man vergiftet sich. Genauso ist es eine Kunst für sich, präzise und sauber zu messen, zum Beispiel bei der Spektroskopie. Etwas ästhetisch Künstlerisches hat unsere Arbeit vor allem, wenn viele Moleküle in unterschiedlichen Farben leuchten oder verschiedene Farben absorbieren. Licht, Akustik und Verbindungen mit „heavy metals“ – das hat sogar etwas mit Musik zu tun, meiner zweiten Leidenschaft.