CiM/sis
|

„Jeder einzelne Versuch muss vernünftig sein“

Im Labor mit Prof. Stefan Schlatt / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Prof. Dr. Stefan Schlatt ist Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und Leiter des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie.
© UKM/FZ

Herr Prof. Schlatt, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Wir gehören zu den wenigen Reproduktionsforschern in Deutschland und untersuchen Störungen der männlichen Fortpflanzungsfunktionen und des Hormonhaushalts in verschiedenen Lebenssituationen. Wir arbeiten zum Beispiel mit Patienten, die in sehr jungen Jahren eine Chemotherapie erfahren haben. Sie werden aufgrund der Exposition zu Chemotherapie oder Bestrahlung häufig unfruchtbar. Wir analysieren dieses Risiko und fragen uns, wie sich diese Nebenwirkung verhindern lässt. In einem anderen Projekt versuchen wir, beschädigte DNA in Spermien zu erkennen. Beschädigte DNA kann zum Beispiel eine Ursache dafür sein, dass eine künstliche Befruchtung nicht gelingt. Mit meinem Physiker-Kollegen Carsten Fallnich arbeite ich dafür an einem Verfahren, mit dem wir die Spreu vom Weizen trennen können, also Spermien mit defekter DNA von intakten Spermien. Die Idee dabei ist, bei einer künstlichen Befruchtung nur Spermien mit gesunder DNA zu verwenden und damit die Erfolgschance zu erhöhen. Eine solche Methode würde die Spermiendiagnostik revolutionieren. Aktuell untersucht man Spermien nach ihrer Überlebensrate, Beweglichkeit und Anzahl. Es fehlen Methoden, mit denen man die Spermienfunktionalität beurteilen kann. Gelingt uns das, könnte man die optimalen Spermien für eine künstliche Befruchtung finden.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Ich war lange Zeit im Ausland und habe in den vergangenen Jahren aufgrund meiner Forschung sechs transkontinentale Umzüge mit meiner Familie gemeistert. Wir haben zwei Jahre lang in Melbourne, Australien gelebt, ein Jahr lang in Pennsylvania, PA, USA, und fünf Jahre lang in Pittsburgh, PA, USA. Ich habe mich an diesen Orten als Wissenschaftler sehr gut weiterentwickeln können. Im Jahr 2008 bin ich letztmals zurück nach Münster gekommen. Hier gab es für mich und meine Forschung zu diesem Zeitpunkt einfach die besten Bedingungen. Und es ist auch schön, zurück zu sein – auch wenn meine Familie und ich im Ausland jeweils auch ein Stück Heimat gefunden hatten.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?

Ich würde gern die männlichen Fortpflanzungsfunktionen vollständig verstehen und erklären können.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Wir arbeiten mit vielfältiger und innovativer Technik. Da wir auch viel mit Tiermodellen arbeiten, sind diese für uns sehr wichtig und wir bieten Ihnen optimale Zucht- und Haltungsbedingungen. Dabei ist sehr wichtig: Jeder einzelne Versuch muss vernünftig und valide sein.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment?

Im Jahr 2002 warteten wir lange Zeit bis zur Akzeptanz einer sehr schönen Arbeit, die ich an der University of Pennsylvania unternommen hatte und die dann in Nature erschien. In der Zeit bis zur Entscheidung war unser Team sehr frustriert, da anscheinend unmögliche Dinge in der Revision verlangt wurden. Da war dann der Kontrast nach der langen Wartezeit sehr deutlich und wir haben uns sehr über die Publikation gefreut.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Davon gab es einige. Ich war über viele Jahre als Postdoc damit beschäftigt, finanzielle Löcher zu stopfen, habe mich von einem Stipendium zum nächsten gehangelt. Es war für mich als Wissenschaftler, aber auch für meine Familie oft anstrengend, in die schwarzen Löcher einer Forschungskarriere zu blicken.  Solche Situationen gibt es häufig im Leben eines Wissenschaftlers und man muss eine gehörige Portion Langmut und Optimismus mitbringen, um diese zu meistern.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Dass aus einer Eizelle und einem Spermium, also aus lediglich zwei Zellen ein ganzer Mensch entsteht. Es gibt noch so viele ungelöste Fragen im gesamten Reproduktions- und Entwicklungsprozess.