„Wir füllen biomedizinische Bilder mit Sinn“
Herr Prof. Jiang, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?
Meine Arbeitsgruppe entwickelt Verfahren für die Analyse biomedizinische Bilder. Oft sind unsere Projekte mit ganz konkreten biomedizinischen Fragestellungen verbunden. Zusammen mit Kollegen aus der Biologie und Medizin untersuchen wir zum Beispiel, wie Zellen im Organismus wandern, um eine Wunde zu verschließen oder Lymphgefäße zu bilden. Dabei analysieren wir, welche Informationen in biomedizinischen Bildern enthalten sind und machen sie überhaupt erst erkennbar und quantifizierbar. Oft ist zum Beispiel erstmal nicht sichtbar, wo die Begrenzungen einzelner Zellen sind. Wir füllen die Bilder mit Sinn und bereiten die Daten so auf, dass wir dann Aussagen darüber treffen können, wo die Zellen genau herkommen oder wie zielstrebig und mit welcher Geschwindigkeit sie sich bewegen.
Über die Bildanalyse hinaus arbeiten wir auch daran mit, die Bilder zu generieren. Das ist eine für Informatiker seltene Gelegenheit und daher umso spannender. Mit unseren Kollegen aus der Biologie haben wir den sogenannten FIM-Tisch entwickelt, mit dem wir die Bewegung von Fruchtfliegenlarven tracken können. In einem anderen Projekt haben wir zusammen mit Kollegen aus der Medizin und Mathematik ein Setup für die Positronen-Emissions-Tomographie konstruiert, mit dem wir ohne die übliche Anästhesie freilaufende Mäuse untersuchen können. Wir erfassen während der Untersuchung ihre räumliche Bewegung und rechnen sie dann aus den Bilddaten heraus.
Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?
Ich habe an der Peking University studiert, in Bern promoviert und habilitiert. Ein halbes Jahr lang war ich an der Technischen Universität Berlin und seit dem Jahr 2002 forsche ich an der WWU. Die Universitäten in Peking, Bern und Münster haben etwas gemeinsam: An allen drei Universitäten ist die Informatik eng verbunden mit der Mathematik. In Peking hatte ich schon Mathematik als Nebenfach. In Bern war die Informatik eng verbunden mit der angewandten Mathematik. Ich habe also stets sehr grundlagenorientiert gelernt und geforscht. Mir liegt die Arbeit mit den Grundlagen. Ich entwickle am liebsten nicht eine Anwendung für ein einzelnes Gerät oder System, sondern kümmere mich um ein Modell, das für eine ganze Reihe von Anwendungen funktioniert.
Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?
Ich will wirkungsvolle Algorithmen entwickeln, die hoffentlich von einer gewissen Eleganz, einer methodischen Schönheit, und drüber hinaus auch von breitem Anwendungspotential geprägt sind.
Was ist Ihr liebstes technisches Spielzeug und was kann es?
Der Computer ist für mich nur ein Werkzeug. Viel wichtiger sind Methoden aus Grundlagenbereichen wie der Mathematik. Wir brauchen sie, um mithilfe der automatischen Bildanalyse maschinelles Sehen zu erreichen.
Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?
Es gibt eher einige mittelgroße Glücksmomente. Dazu zählt die Entwicklung des FIM-Tisches. Als klar wurde, dass das Prinzip funktioniert, und nach einigen Iterationen schließlich ein ansehnlicher Prototyp stand, war das toll. Als Informatiker hat man eigentlich selten die Möglichkeit, etwas zu basteln. Das machen ja eher Ingenieure. Das Zusammenkommen von unserem Grundlagenwissen mit der praktischen Umsetzung hat großen Spaß gemacht.
Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?
Projekte, die ich am meisten mag, zeichnen sich immer durch eine hohe Kreativität aus. Natürlich bedarf es dafür auch des Handwerks. Wir müssen zum Beispiel mathematische Methoden beherrschen und auch programmieren können. Nur dann sind wirkungsvolle Lösungen möglich. Dass hierbei manchmal bildliche Darstellungen herausspringen, denen sogar der Charakter von Kunst zugebilligt wird, wie vor Kurzem bei unserem Beitrag für die CiM-Bilderausstellung, erfüllt einen sicher mit großer Freude.