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„Ich forsche, damit Menschen sehen können“

Im Labor mit Prof. Nicole Eter / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Augenärztin Prof. Dr. Nicole Eter ist Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und Direktorin der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Münster.
© Witte / Wattendorf

Frau Prof. Eter, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Mein Schwerpunkt in der Augenheilkunde liegt bei der Netzhaut, Retina genannt. In verschiedenen Arbeitsgruppen untersuchen wir retinale Erkrankungen, im Speziellen solche, bei denen sich unkontrolliert Gefäße bilden. Dazu zählt zum Beispiel die altersabhängige Makuladegeneration, bei der sich die zentrale Netzhaut, das Areal des schärfsten Sehens, verändert. Wir sehen uns auch Veränderungen durch Venenverschlüsse und bei der diabetischen Retinopathie sowie der Frühgeborenen-Retinopathie an. In unseren Arbeitsgruppen führen wir sowohl Labor- als auch klinische Studien durch – dabei arbeiten Grundlagenwissenschaftler und Kliniker Hand in Hand. Wir möchten herausfinden, welche Mechanismen hinter der Entstehung von Krankheiten stecken und sind langfristig auf der Suche nach neuen Therapieformen. Für die altersabhängige Makuladegeneration zum Beispiel sind die Therapiemöglichkeiten in den vergangenen Jahren zwar extrem fortgeschritten, derzeit für Patienten aber noch sehr zeitaufwendig und strapazierend.

Was macht Sie als Wissenschaftlerin persönlich aus?

Ich glaube, das ist vor allem mein Spaß an der Arbeit und der Wunsch, das Fach Augenheilkunde mit neuen Erkenntnissen weiter voranzubringen. Ich arbeite sowohl als Ärztin als auch als Forscherin, was natürlich ein Stück weit eine Doppelbelastung ist. Aber ich sehe meinen Job nicht als Arbeit, denn ich liebe diese Vielfalt: Einerseits den Kontakt mit den Patienten – häufig begleite ich sie ja über Jahre, und da entstehen zum Teil sehr persönliche Verbindungen. Auf der anderen Seite kann ich nachmittags den Hebel umlegen und als Wissenschaftlerin daran arbeiten, die Mechanismen hinter den Krankheiten zu durchschauen und so den Patienten langfristig noch mehr helfen zu können. Letztendlich forsche ich, damit Menschen sehen können.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftlerin?

Ich würde gerne zu einer wertvollen Erkenntnis und Therapie beitragen, also zum Beispiel einen wichtigen Signalweg zwischen Proteinen in Netzhautzellen aufdecken – von der ersten Idee über viele Studien bis hin zu einer neuen klinischen Therapie. So etwas passiert natürlich extrem selten. Zumindest möchte ich aber einen wichtigen Beitrag leisten.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Die technischen Fortschritte in der Bildgebung helfen uns sehr. Seit mehr als einem Jahr gibt es ein neues System, das im Moment mein Lieblingsspielzeug ist: die optische Kohärenz-Tomographie-Angiografie, OCTA genannt. Damit können wir uns Blutgefäße anschauen, ohne einen Farbstoff oder ein Kontrastmittel spritzen zu müssen. Das Gerät rastert mit einem Laserstrahl die Netzhaut ab und prüft, ob sich etwas bewegt oder nicht bewegt. So können wir den Blutstrom in den Gefäßen beobachten und sehen, wo sich neue Gefäße bilden. Das hilft uns, früher zu erkennen, welcher Patient eine schlechte Durchblutung in bestimmten Bereichen der Netzhaut hat. Wir möchten herausfinden, inwiefern das mit einer späteren altersabhängigen Makuladegeneration oder anderen vaskulären Netzhauterkrankungen zusammenhängt.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftlerin?

Am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere ist sicherlich das erste angenommene Paper ein besonderer Glücksmoment – auch ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein ziemliches Hochgefühl. Als unser erster Antrag für ein DFG-Projekt angenommen wurde, hatten wir ebenfalls einen fröhlichen Abend (lacht). Heute sind es auch Glücksmomente für mich, wenn die jungen Mitarbeiter die gleichen Erfolge haben und ich ihnen dabei zusehen kann, wie sie immer besser werden.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Bei einem abgelehnten Paper oder einem abgelehnten Antrag ist man natürlich immer enttäuscht. In der Augenheilkunde gibt es ein Top-Journal mit einer sehr hohen Ablehnungsrate – es kann sehr frustrierend sein, wenn man lange über einer Sache gebrütet hat und am Ende stolz auf sein „Baby“ ist, dieses aber im übertragenen Sinne für hässlich befunden wird. In der Wissenschaft gehört das aber dazu. Frustration entsteht natürlich auch im klinischen Alltag, wenn bei einem Patienten zum Beispiel eine Therapie nicht anschlägt, oder sich trotz gelungener Operation das Sehen nicht verbessert.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Das Auge ist für mich nach wie vor ein extrem spannendes Organ. Vieles daran ist noch nicht erforscht. Momentan faszinieren mich unheimlich die Therapiefortschritte, die durch die Interaktion von Mensch und technischem Hilfsmittel entstehen. Das Retina-Implantat zum Beispiel: Man kann einen Chip auf die Netzhaut setzen, mit dem Impulse durch den Sehnerv weitergeleitet werden. Die Patienten können dann zumindest wieder Umrisse wahrnehmen und Figuren erkennen. Noch vor zwanzig Jahren hätte man nicht geglaubt, dass das einmal funktionieren würde.

Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?

Innerhalb meines eigenen Fachgebiets ist das die Frage „Wie kann man die altersabhängige Makuladegeneration verhindern?“. Generell finde ich Prozesse, die vielleicht Zellalterung oder Zelldegeneration aufhalten können, wahnsinnig spannend. Wenn man wüsste, wie man bestimmte körperliche Systeme am Laufen halten kann, würde das natürlich die Menschheit bewegen – denn das wäre ja nicht nur für erkrankte, sondern auch für alle normal alternden Menschen von Interesse.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Mit Handwerk haben wir es in unserem Fachgebiet täglich zu tun – vor allem, wenn wir operieren. Und Kreativität steckt in unserem wissenschaftlichen Alltag auch eine Menge. Ein Beispiel: Seit zwei Jahren untersuchen wir die Frühgeborenen-Retinopathie bei Mäusen. Das ist eine hochdiffizile Angelegenheit: Die Mäuse haben die Augen noch gar nicht geöffnet, wir wollen sie aber schon untersuchen. Das bedeutet für uns immer eine gewisse Tüftelei, damit wir am Ende gute Bilder der Netzhaut bekommen – wir verändern zum Beispiel die Positionen der Maus, kombinieren verschiedene Methoden miteinander oder passen unsere Geräte an, indem wir zum Beispiel einen Adapter bauen.