„Wir rekonstruieren klinische Bilder aus sonst kaum interpretierbaren Daten“
Herr Prof. Burger, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?
Unsere Mathematik-Forschung hat immer eine praktische Anwendung. Meine Gruppe rekonstruiert zum Beispiel klinische Bilder aus sonst kaum interpretierbaren Daten oder wir ziehen bestimmte Informationen aus mikroskopischen Bildern heraus, die in der großen Menge an Details normalerweise untergehen. Wir arbeiten dabei eng mit Biologen oder Ärzten zusammen. Sie erzählen uns von ihren Wünschen, wir versuchen sie möglichst so umzusetzen, dass am Ende eine Software mit einem einfachen Knopfdruck die gewünschten Resultate liefert. Bis dahin sind viele Gespräche und Entwicklungsschritte nötig. Ein Beispiel: Biologen können wegen ihrer großen Erfahrung und guten Intuition ganz einfach sagen, wo eine Nervenzelle aufhört und die nächste anfängt. Damit eine Software das erkennen kann, müssen wir einem Computer genau diese Intuition beibringen. Allerdings ist es nicht ganz einfach mathematisch zu bestimmen, wo Anfang und Ende einer Nervenzelle ist. Nur dann kann aber ein Computer Grenzen, Formen und Strukturen mathematisch berechnen.
Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?
Ich stamme aus Österreich, habe zwei Kinder und lebe seit dem Jahr 2006 in Münster. Dass ich in der Wissenschaft gelandet bin, war eher ein Zufall. Nach meiner Promotion musste ich noch meinen Zivildienst leisten und hatte glücklicherweise ein Jahr lang Zeit, um mir zu überlegen, was ich werden will. In dieser Zeit hat mir die UCLA, die University of California in den USA, eine Stelle in der Arbeitsgruppe des Mathematikers Stanley Osher angeboten. Die Zusammenarbeit war super. Danach war klar, dass ich der Wissenschaft treu bleibe. Im Jahr 2005 habe ich habilitiert. Ein Jahr später hat es direkt mit der Professorenstelle geklappt. Da war ich gerade einmal 30 Jahre alt.
Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?
Mathematiker leben von günstigen Dingen. Wir benötigen keine Geräte für Millionen, sondern eigentlich nur ein Blatt Papier, etwas Ruhe und interessante Personen, mit denen wir Ideen und Probleme diskutieren können. Schöne Spielzeuge bauen wir gerne mal selbst. Ein Doktorand hat etwa einen Roboter so programmiert, dass er automatisch Bier erkennt und bringt.
Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?
Mir ist heute Morgen erst beim Zähneputzen eingefallen, wie ich mit einem Beweis weiterkomme. An der Lösung arbeite ich schon seit zwei Wochen. Solche Momente machen glücklich.
Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?
Im Jahr 2007 hatte ich mich auf eine ERC-Förderung beworben. Das Projekt wurde zwar bewilligt, aber es gab nicht genug Geld, um es zu finanzieren. Das war damals enttäuschend, hat aber auch dazu angestachelt, weiter zu forschen. Im Jahr 2013 habe ich ja dann einen ERC Consolidator bekommen.
Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?
Es gibt so viele Bereiche, die mit der Mathematik zu tun haben. Mich fasziniert zum Beispiel, wie sich Kristalle bilden. Kristalle nehmen sechs- oder achteckige Formen an. Warum sie gerade sechs oder acht Ecken bilden, weiß man aber nicht. Warum gibt es diese Symmetrie? Warum bilden Kristalle genau diese Formen?
Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?
Die Idealvorstellung ist ja: Als Professor kümmert man sich nur noch um kreative Aufgaben, Doktoranden übernehmen das Handwerk. In der Praxis besteht meine Arbeit aber aus viel Handwerksarbeit.