Organspezifische Entzündungen mit „multiskaliger Bildgebung“ darstellen
Immer wenn im Körper Gewebe geschädigt wird – beispielsweise bei Infarkten, Autoimmunkrankheiten und Infektionen – kommt es zu Entzündungen. Diese umittelbare Reaktion des Immunsystems auf äußere Reize und akute Gefahren ist grundsätzlich etwas Positives: Entzündungen begrenzen Schäden und sind Teil des Heilungsprozesses. Doch nicht immer bekommt der Körper die Situation in den Griff. Dann kann eine Entzündung lebensbedrohlich werden oder chronisch verlaufen und Organe dauerhaft in ihrer Funktion beeinträchtigen. Eine Herausforderung, vor der die Medizin steht: Häufig ist kaum vorhersehbar, wie eine Entzündung verlaufen wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert jetzt den neuen Sonderforschungsbereich (SFB) „inSight – Darstellung organspezifischer Entzündung durch multiskalige Bildgebung“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), der zu einer Lösung beitragen möchte.
„Wir wollen umfassend verstehen, wie der Körper Entzündungen in unterschiedlichen Organen reguliert und welche zellulären Vorgänge entscheidend dafür sind, ob eine Entzündung heilend oder zerstörend verläuft“, erklärt Prof. Michael Schäfers, Nuklearmediziner und Sprecher des neuen Forschungsverbundes. Um Reaktionen des Immunsystems von der einzelnen Zelle bis zum gesamten Organismus sowie bei Mäusen und Menschen beobachten und analysieren zu können, wollen die Forschenden eine spezifische Methodik entwickeln – die „multiskalige Bildgebung“. Diese erfordert innovative Strategien für die chemisch-biologische Markierung von Zellen und für die Auswertung von Bilddaten mit mathematischen Modellen und künstlicher Intelligenz. Die Förderung über rund zehn Millionen Euro startet im Januar 2021 und läuft zunächst vier Jahre lang. Anschließend können die Forschenden sich um bis zu zwei weitere Förderperioden von je vier Jahren bewerben. Der Verbund ist Teil des Forschungsschwerpunkts „Zelldynamik und Bildgebung“ der WWU. Ein Großteil der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche wird zukünftig einen gemeinsamen Sitz im neuen Multiscale Imaging Centre der WWU haben, das im Moment gebaut wird.
Forschungsziele und klinische Perspektiven des Projekts im Detail
Die Forschenden wollen analysieren, wann und wo unterschiedliche Immunzellen während einer Entzündung im Organismus aktiv werden, über welche molekularen Mechanismen sie untereinander und mit ihrer Umgebung interagieren und welche spezifischen Funktionen sie bei Entzündungen in unterschiedlichen Organen haben. Um sich diesem Wissen zu nähern, integrieren sie verschiedene Bildgebungstechnologien von der Mikroskopie bis zur Ganzkörperbildgebung in ihre Untersuchungen und wollen Informationen von der einzelnen Zelle bis zum gesamten Organismus zusammenbringen. „Wir erwarten, durch diesen ganzheitlichen Blick Zusammenhänge zwischen zellulären Entzündungsmechanismen und der Funktion von Organen erkennen zu können“, so Michael Schäfers. Diese „multiskalige Bildgebung“ erfordert neue chemisch-biologische Strategien, die es erlauben, die gleiche Zellart oder sogar dieselbe Zelle mit unterschiedlichen Signalgebern zu markieren, beispielsweise mit fluoreszierenden, magnetischen oder radioaktiven Molekülen – denn diese erzeugen Signale, die über ganz unterschiedlichen Bildgebungstechnologien sichtbar werden. Neue Herausforderungen bestehen auch darin, Datensätze verschiedener Bildgebungsverfahren zusammenzufügen und so Muster im Zellverhalten zu erkennen. Hier spielen mathematische Modelle und das Trainieren künstlicher Intelligenz – das sogenannte Deep Learning – eine wesentliche Rolle. Die Bedeutung der biomedizinischen Bildgebung in dem Forschungsvorhaben spiegelt sich auch im Namen wider: Das Wortspiel „inSight“ beinhaltet einerseits, dass die Forschenden etwas sichtbar machen, es vor Augen haben (englisch „to keep something in sight“), und andererseits, dass sie dadurch neue Einblicke erhalten und Erkenntnisse gewinnen (englisch „to gain insight“).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwarten, dass ihre Ergebnisse langfristig in neue Untersuchungsverfahren für klinische Bildgebungsmodalitäten wie nuklearmedizinische Bildgebung, Magnetresonanztomographie oder fotoakustische Bildgebung münden. Solche Verfahren könnten dazu beitragen, Entzündungen zu erkennen – beispielsweise bei Herzinfarkten, bei Autoimmunerkrankungen, die zu Entzündungen der Gelenke, der Haut oder des Darms führen, und bei bakteriellen Infektionen der Lunge oder der Nieren. Sie könnten auch dabei helfen, für die einzelnen Patientinnen und Patienten eine geeignete immunregulierende Therapie zu finden und zu beurteilen, wie effektiv diese ist.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Nachwuchsförderung im Projekt
In dem neuen Sonderforschungsbereich arbeiten Mediziner, Biochemiker, Chemiker, Physiker, Mathematiker und Informatiker aus mehr als 30 Arbeitsgruppen in verschiedenen Konstellationen zusammen. Die einzelnen Teilprojekte widmen sich – in unterschiedlicher Gewichtung – der Entwicklung neuer Verfahren für die Bildgebung und/oder setzen diese ein, um Entzündungsprozesse zu analysieren. Die Untersuchungen können zu neuen biomedizinischen Hypothesen führen, deren Überprüfung wiederum neue Herausforderungen für die Entwicklung methodischer Strategien mit sich bringt. Dieses Forschungskonzept erfordert eine intensive Interaktion zwischen allen beteiligten Fachgebieten, weshalb nicht nur im Gesamtverbund, sondern auch innerhalb der einzelnen Teilprojekte, Experten verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten.
Da sowohl klinische als auch naturwissenschaftliche Perspektiven für den Erfolg des Forschungsvorhabens entscheidend sind, fördert der SFB eine interdisziplinäre Forschungskultur schon früh in der wissenschaftlichen Karriere. „Zu diesem Zeitpunkt ist ein intensiver Austausch zwischen den unterschiedlichen Disziplinen noch sehr gut möglich“, erklärt Prof. Friedemann Kiefer, Biochemiker und stellvertretender Sprecher des Verbundes. „Im Berufsalltag angekommen sind Medizinerinnen und Mediziner meist durch die Patientenversorgung in Anspruch genommen und Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler haben oft nur wenige Kontakte zur Klinik und damit Einblicke in medizinische Herausforderungen.“ Im integrierten Graduiertenkolleg „Multiskalige Bildgebung“ durchlaufen Doktorandinnen und Doktoranden beider Berufsgruppen ein gemeinsames Ausbildungsprogramm und forschen an der Schnittstelle zwischen Medizin und Naturwissenschaften. Auch nach der Promotion unterstützt der Verbund interdisziplinäre Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher auf dem Weg in die wissenschaftliche Eigenständigkeit. Postdocs können beispielsweise Fördermittel beantragen, um neue Forschungsideen zu verfolgen, die zum wissenschaftlichen Konzept des Netzwerks passen – und sich so möglicherweise den Weg zu einer Teilprojektleitung in zukünftigen Förderperioden ebnen.
Autorin: Doris Niederhoff