Im Netzwerk der Angst: Wie Nervenzellen kommunizieren
Es ist der Tag, an dem ich meine Doktorarbeit verteidige. Alle sitzen sie da, im Auditorium. Familie, Freunde, Kollegen, mein Doktorvater und weitere Gutachter warten gespannt darauf zu hören, woran ich in den vergangenen dreieinhalb Jahren geforscht habe. Ich stehe ihnen gegenüber mit etwas weichen Knien. Mein Herz schlägt schnell, ich atme schnell und meine Hände sind feucht und ein wenig zittrig. Das, was da gerade ausgelöst wird und das Adrenalin durch meinen Körper pumpt, nennt man autonome Stressantwort oder – sehr vereinfacht – Angst.
Ein Netzwerk im Gehirn reguliert Furcht und Angst
Ein ganzes Netzwerk an Strukturen ist jetzt gerade in meinem Gehirn aktiv: das sogenannte Furchtnetzwerk. Ein wichtiger und besonders gut untersuchter Teil davon ist die Amygdala. Sie liegt seitlich in unserem Schläfenlappen und erhält Informationen über alle Sinneseindrücke, zum Beispiel die Gesichtsausdrücke, die ich wahrnehme, oder die Stimmen der Gutachter. Die Aufgabe der Amygdala besteht nun darin, die Eindrücke emotional zu bewerten. Empfinde ich die Gesichtsausdrücke als freundlich, neutral oder doch eher kritisch? Sie speichert insbesondere auch negative Vorerfahrungen und Assoziationen; mit einem Gutachter habe ich schließlich in der Vergangenheit nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Im „Normalfall“ löst die Amygdala eine Stressantwort wie oben beschrieben aus.
Eine weitere wichtige Komponente im Furchtnetzwerk sind die Nuclei mediani thalami (dorsalis), Kerngebiete des Thalamus, die genau mittig zwischen unseren Hirnhälften liegen. Sie erhalten Informationen über den Gemütszustand des Körpers, zum Beispiel das Stresslevel, und könnten diese an die Amygdala weitervermitteln. Welche Rolle die N. mediani thalami für Angst – beziehungsweise emotionales Verhalten generell – spielen, ist aber weit weniger gut erforscht als für die Amygdala.
Klar ist: Wenn das Furchtnetzwerk im Gehirn aus dem Gleichgewicht gerät, werden Furcht und Angst zum Problem. Sie können sich zum Beispiel in Form einer Panikattacke oder als Posttraumatische Belastungsstörung äußern. Es ist also immens wichtig, dass wir verstehen, wie genau das Furchtnetzwerk im Gehirn funktioniert und wie es reguliert wird. In meiner Forschungsarbeit habe ich im Speziellen untersucht, wie Informationen zwischen den N. mediani thalami und der Amygdala ausgetauscht werden und ob dieser Prozess durch bestimmte angstlösend wirkende Substanzen, die Opioide, beeinflusst werden kann.
Beobachten, wie Nervenzellen im Netzwerk kommunizieren: Optogenetik und Patch-Clamp
Kommunikation – im Gehirn bedeutet das nicht WhatsApp-Sprachnachricht, sondern elektrische Impulse und chemische Botenstoffe. Vereinfacht können wir uns zwei Nervenzellen (Neurone) als Sender und Empfänger vorstellen. Ist eine Nervenzelle aktiv, das heißt bildet sie elektrische Impulse, kann sie Nachrichten an nachgeschaltete Nervenzellen verschicken. Das geschieht über eine Art Nervenkabel, das Axon, das den elektrischen Impuls zur Kontaktstelle mit der Empfängernervenzelle weiterleitet. Dort werden dann Botenstoffe freigesetzt, die die Nachricht an den Empfänger überbringen. Diese kann entweder lauten „Psst, sei ruhig!“ oder „Weitersagen!“. Das ist davon abhängig, welchen Botenstoff die sendende Nervenzelle verwendet. Nervenzellen in unserem Gehirn, die die Nachricht „Weitersagen!“ verschicken, benutzen dazu den aktivierenden Botenstoff Glutamat. Im Gegensatz dazu verwendet eine Nervenzelle, die die Nachricht „Psst, sei ruhig!“ überbringt, den Botenstoff GABA. Das kann die Empfängernervenzelle hemmen. Nun kommunizieren in unserem Gehirn nicht nur ein Sender und ein Empfänger miteinander. Vielmehr sehen wir uns einem komplexen Netzwerk aus etwa 86 Milliarden Neuronen gegenüber. Im Gehirn einer Maus, das ich mir ansehe, um meiner Fragestellung nachzugehen, sind es 71 Millionen. Wie kann ich da ganz speziell dem Gespräch von Thalamus-Nervenzelle und Amygdala-Nervenzelle lauschen?
Dabei helfen mir modernste optogenetische Methoden. Sie ermöglichen mir, Senderneurone in den N. mediani thalami der Maus so zu verändern, dass ich sie von außen durch einen Lichtblitz aktivieren kann. Ich kann sie also experimentell dazu bringen, Nachrichten zu versenden. Unter der Annahme, dass die N. mediani thalami und die Amygdala miteinander vernetzt sind, habe ich versucht, die aus den N. mediani thalami gesendeten Nachrichten in Neuronen der Amygdala zu empfangen. Dazu habe ich in einem Schnittpräparat des Mausgehirns einzelne Nervenzellen in der Amygdala identifiziert und eine haarfeine Messelektrode eingebracht. Mittels dieser sogenannten Patch-Clamp-Technik konnte ich dann tatsächlich eingehende elektrische Aktivität aufzeichnen. In diesem Fall waren das „Weiterleiten!“-Nachrichten, da die von mir aktivierten Nervenzellen in den N. mediani thalami den Botenstoff Glutamat ausschütteten. Ich konnte so zeigen, dass Nervenzellen aus den N. mediani thalami direkt mit bestimmten Nervenzellen in der Amygdala verschaltet sind. Dieser Informationspfad war so vorher noch nicht im Detail bekannt.
Opioide verändern die Kommunikation zwischen den N. mediani thalami und der Amygdala
Besonders charakteristisch für die Nervenzellen in den N. mediani thalami ist, dass sie viele Andockstellen für Opioide besitzen. Bekannte Opioide sind zum Beispiel das Schmerzmittel Morphin, die Droge Heroin aber auch das körpereigene „Glückshormon“ Endorphin. Ihnen gemein ist nicht nur ihre berauschende, sondern auch ihre angstlösende Wirkung.
In einem weiteren Schritt habe ich untersucht, ob Opioide die Nachrichtenübertragung von den N. mediani thalami zu Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen. Wie zuvor habe ich Nervenzellen in den N. mediani thalami durch Lichtblitze aktiviert und mittels Messelektroden in Neuronen der Amygdala die elektrische Aktivität gemessen, die entsteht, wenn eine Nachricht ankommt. Kamen die Neurone nun in Kontakt mit Opioiden, so konnte ich eine dramatische Abnahme der eingehenden elektrischen Aktivität beobachten. Nachrichten von den N. mediani thalami wurden nicht mehr so effektiv zur Amygdala übertragen. Daraus schloss ich: Die Opioide schalten hier die Kommunikation zwar nicht vollständig ab, aber sie drehen am Lautstärkeregler auf leise. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Opioide die Freisetzung des Botenstoffs Glutamat an der Kontaktstelle verringern.
Wenn die Nervenzellen in der Amygdala die „Weiterleiten!“-Nachrichten von den N. mediani thalami nun nicht mehr so gut verstehen, kann das dazu führen, dass sie nicht ausreichend aktiviert werden, um die Informationen ihrerseits zur nächsten Kontaktstelle weiterzuleiten. Tatsächlich konnte ich in weiteren Experimenten zeigen, dass die Opioide auch die Nachrichtenübertragung zu den Zellen verschlechtern, die die Furchtreaktion, z.B. einen Herzfrequenzanstieg, vermitteln. Einfach gesagt könnten Opioide, die die Kommunikation von den N. mediani thalami mit der Amygdala stören, also Angst lindern.
Wann kommen Opioid-Wirkungen im Furchtnetzwerk zum Tragen? Ein Szenario
Wir wissen, dass zum Beispiel körpereigene Opioide helfen können, mit Stresssituationen besser umzugehen und weniger negativ oder ängstlich zu reagieren. Das könnte daran liegen, dass die Opioide den Informationspfad von den N. mediani thalami zur Amygdala blockieren. Unter Stress sind die N. mediani thalami besonders aktiv und könnten ungehemmt Informationen an die Amygdala senden, die daraufhin Angst auslöst. Da diese Kommunikation, wie ich zeigen konnte, durch Opioide gehemmt wird, könnten Menschen mit höheren körpereigenen Opioidleveln besser davor gewappnet sein, in Stresssituationen mit Angst oder Panik zu reagieren. Eine wichtige Zukunftsaufgabe ist nun herauszufinden, ob der von mir untersuchte Informationspfad tatsächlich wesentlich in diese Prozesse involviert ist.
Meine Stresssituation habe ich übrigens allein durch ruhiges Atmen und positive thinking bewältigen können, und die Gutachter waren am Ende zufrieden.
Hintergrund "Wissenschaft allgemeinverständlich"
Dieser Artikel ist das Ergebnis eines Kommunikationstrainings für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Die Teilnehmer erlernten Techniken für das Schreiben eines interessanten, gut lesbaren Textes. Anschließend verfassten sie einen allgemeinverständlichen Artikel über ihre Forschung und übersetzen ihn ins Englische. Das Kommunikationsteam des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ initiierte das Projekt und unterstützte die Teilnehmer in Einzelcoachings. Die Supportstelle Englisch der WWU half bei der Optimierung der Übersetzungen. Die Ziele: Das eigene Forschungsthema inhaltlich und sprachlich reflektiert aufzubereiten, soll den Teilnehmern in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Wissenschaft nutzen. Darüber hinaus sammeln sie Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kommunikationsabteilungen und Fotografen.
Weitere Beiträge aus diesem Projekt:
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Entwicklungsbiologie – meine Forschung über die Herzkranzgefäße: Gastbeitrag von Dr. Guillermo Luxán, Biologe in der Arbeitsgruppe von Prof. Ralf Adams am Exzellenzcluster „Cells in Motion“
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Wie die Nachbarschaft von Zellen ihre Fortbewegung beeinflusst: Gastbeitrag von Sargon Groß-Thebing, Biologiedoktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Erez Raz am Exzellenzcluster „Cells in Motion“
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Wie bauen sich Fortsätze von Nervenzellen ab? Gastbeitrag von Dr. Svende Herzmann, Biologin in der Arbeitsgruppe von Dr. Sebastian Rumpf am Exzellenzcluster „Cells in Motion“