Neue Bausteine für die Wirkstoffforschung
Damit chemische Wirkstoffe spezifischer und effektiver funktionieren, statten Chemiker diese häufig mit dem Element Fluor aus. Medikamente sind dadurch zum Beispiel besser im Körper löslich oder bauen sich weniger schnell ab. Etwa dreißig Prozent der heute existierenden Wirkstoffe – darunter auch Chemikalien in der Landwirtschaft – enthalten mindestens ein Fluoratom in ihrer Molekülstruktur. Es mangelt allerdings an einfachen und selektiven Verfahren, um Fluor auf möglichst effiziente und spezifische Weise in komplexe Moleküle einzubringen. Nun haben Chemiker der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) einen neuen Weg gefunden: Ihnen gelang es zum ersten Mal, zwei Fluoratome in einer räumlich definierten Weise an zwei benachbarten Kohlenstoffatomen in ein Molekül einzubauen. Dazu verwendeten sie einen neuartigen Katalysator – einen Stoff, der die Reaktion möglich macht und unverbraucht aus der Reaktion hervorgeht. „Unsere Methode ist sehr effizient und löst ein schon lange bestehendes Problem in der Organischen Chemie“, sagt Ryan Gilmour, Professor am Exzellenzcluster „Cells in Motion“ und Leiter der Studie. Die Ergebnisse können in Zukunft dabei helfen, maßgeschneiderte Medikamente und Materialien zu entwickeln. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ erschienen.
Zum Hintergrund:
Ein einzelnes Fluoratom bauen Chemiker in der Regel in eine Verbindung ein, indem sie einen vorhandenen Bestandteil durch einen Fluorbestandteil ersetzen. Da sich elementares Fluor aufgrund seines Gefahrenpotenzials – es ist giftig – und seiner Seltenheit in der Natur kaum eignet, um Kohlenstoff-Fluor-Bindungen zu erzeugen, nutzen Chemiker hierzu sogenannte Fluorierungsmittel oder katalytische Prozesse. Seit Jahren suchen sie nach möglichst direkten Methoden, um Moleküle zu fluorieren. Zwei Fluoratome gleichzeitig einzubauen, macht den Prozess umso komplizierter.
Ein weiteres Problem: Durch die Einführung von Fluor an ein Kohlenstoffatom werden zwei Spiegelbilder eines Moleküls erzeugt, sogenannte „Enantiomere“. Diese beiden Abbilder nennen Chemiker „chiral“. Chirale Moleküle finden häufig Anwendung in der Medizin – ein Enantiomer verhält sich dabei biologisch oft ganz anders als sein Spiegelbild. Durch die Entwicklung eines neuartigen Katalysators konnte die Arbeitsgruppe aus Münster nun erreichen, dass bei der Einführung der Fluoratome vorrangig eines der beiden Enantiomere gegenüber dem anderen gebildet wurde.
„Durch dieses System können wir aus einem einfachen Ausgangsstoff heraus die dreidimensionale Raumstruktur des Moleküls verändern und die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Verbindung noch besser steuern“, sagt Ryan Gilmour. Da sich die so entstandene fluorierte Ethylgruppe ähnlich einem Stoff verhält, der üblicherweise in der Wirkstoffentwicklung genutzt wird, könnte die neue Verbindung dort in Zukunft eine wertvolle Rolle spielen.
Förderung:
Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch den Exzellenzcluster „Cells in Motion“ der Universität Münster, den DFG-geförderten Sonderforschungsbereich 858 „Synergistic Effects in Chemistry“ der Universität Münster und den Europäischen Forschungsrat (ERC Starter and Consolidator Grants).
Originalpublikation:
Scheidt F, Schäfer M, Sarie JC, Daniliuc CG, Molloy JJ, Gilmour R. Enantioselective, Catalytic Vicinal Difluorination of Alkenes. Angew Chem Int Ed Engl 2018;57: 16431-16435. Abstract