Reizweiterleitung in Nervenzellen
Nervenzellen im Gehirn kommunizieren mithilfe spezieller Botenstoffe, sogenannter Neurotransmitter. Sie übertragen Signale von Zelle zu Zelle. Dieser Prozess findet allerdings nur statt, wenn den Verbindungen zwischen zwei Zellen, den Synapsen, ausreichend Neurotransmitter an den richtigen Stellen zur Verfügung stehen. Bei erregenden Nervenzellen ist dies Glutamat, das vor allem als Geschmackverstärker bekannt ist. Beim körpereigenen Glutamat handelt es sich dagegen um einen der wichtigsten Botenstoffe im zentralen Nervensystem. Nervenzellen speichern Glutamat in kleinen Bläschen in Synapsen. Wenn Nervenzellen erregende Signale an andere Zellen weitergeben, schütten sie in ihren Synapsen Glutamat aus, das die anderen, empfangenden Zellen elektrisch erregt. Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ (CiM) der Universität Münster haben nun herausgefunden, wie ein Protein, ein sogenannter Glutamat-Transporter, die kleinen Bläschen in Zellfortsätzen mit Glutamat füllt.
Für ihre Studie haben Wissenschaftler um Biophysiker Prof. Dr. Jürgen Klingauf erstmals mithilfe des sogenannten Live-Cell-Imaging, also der Mikroskopie von lebenden Zellen, den Befüllungsprozess der Bläschen mit Glutamat beobachtet. Sie konnten zeigen: Wie viel Glutamat in die Bläschen von Zellfortsätzen gelangt, hängt vor allem vom Chlorid-Gehalt innerhalb der Bläschen ab. Wissenschaftler hatten bereits einen Zusammenhang zwischen Chlorid und Glutamat bei der Befüllung der Bläschen in Synapsen vermutet. Die Forscher aus Münster sind nun die ersten, die diese Hypothese in lebenden Nervenzellen von Mäusen beweisen können.
Chlorid liegt in Form von Natriumchlorid – also Kochsalzlösung – in Synapsen vor und leitet elektrische Signale weiter. Die aktuelle Studie zeigt: Wenn sich die Bläschen mit Glutamat auffüllen, strömt Chlorid in gleichem Umfang nach draußen in den sogenannten extrazellulären Raum. Das macht die Glutamat-Aufnahme erst möglich. Entscheidend für diesen Austausch von Glutamat und Chlorid ist ein Protein, der sogenannte Glutamat-Transporter VGLUT (vesicular glutamate transporter). Dieser Glutamat-Transporter ersetzt Chlorid-Ionen mit Glutamat, angetrieben wird der Prozess von Protonen mit der Protonenpumpe H+-ATPase. „Glutamat-Transporter arbeiten wie eine Pumpe, die gleichzeitig Glutamat in die Bläschen pumpt und ihnen Chlorid und Protonen entzieht“, erklärt Jürgen Klingauf. Ohne den Glutamat-Transporter würde kein Glutamat in die Bläschen gelangen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen.
Das Auffüllen der Bläschen mit Glutamat in allen erregenden Synapsen ist entscheidend dafür, wie gut unser Nervensystem funktioniert: Je mehr die Bläschen mit Glutamat gefüllt sind, desto größer kann die elektrische Antwort von Synapsen auf ein Signal sein, desto besser ist also die synaptische Verbindung zwischen zwei Zellen. Das wiederum wirkt sich darauf aus, wie gut sich jemand erinnern oder Informationen verarbeiten kann. Kommt es zu einem Ungleichgewicht der Chlorid-Menge innerhalb und außerhalb der Zelle, kann der Glutamat-Transporter weniger körpereigenes Glutamat in die Bläschen der Zellfortsätze pumpen. Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen diesem Ungleichgewicht der Chlorid-Menge und Krankheiten wie Schizophrenie, Alzheimer, Parkinson und Epilepsie. Die Studienergebnisse sind ein erster Hinweis darauf, dass diese Annahme stimmen könnte.
Die Geschichte im Detail:
Bisherige Studien hatten den Glutamat-Fluss lediglich in vitro untersucht, also nicht in lebenden Nervenzellen. Bekannt war: Chlorid kann den Glutamatfluss durch den Glutamattransporter beeinflussen. Man konnte aber nicht nachweisen, dass das Chlorid am Ende dieses Prozesses nicht mehr in den Bläschen ist. Die Münsteraner machten ihre Versuche erstmals in lebenden Nervenzellen von Mäusen und konnten auf diese Weise beobachten, dass die Membran der Bläschen durch den Glutamattransporter für Chlorid durchlässig ist. „Dieser Ausfluss ist entscheidend für den Austausch von Chlorid und Glutamat in den Bläschen“, erklärt Jürgen Klingauf.
Für ihre Untersuchungen haben die Forscher zwei sogenannte Fluoreszenzsonden weiterentwickelt. Das sind hochauflösende, chlorid- und protonenempfindliche, fluoreszierende Proteine. Die Wissenschaftler haben Nervenzellen genetisch so modifiziert, dass sie diese Proteine selbst herstellen. Während der anschließenden Versuche mit den lebenden Nervenzellen sind die Sonden an einen Bestandteil der Synapsen-Bläschen angeheftet und leuchten abhängig von der Anzahl der Chlorid-Ionen oder Protonen in der Umgebung unterschiedlich stark. Auf diese Weise können die Forscher messen, wie viel Chlorid und Protonen in einem Synapsen-Bläschen enthalten sind.
Bei der Entwicklung der Fluoreszenz-Sonden gab es zwei besondere Herausforderungen. Da die Anzahl der Chlorid-Ionen so gering ist, ist es schwer, überhaupt genügend Leuchtsignale einzufangen. Außerdem mussten die Wissenschaftler die gemessenen Leuchtsignale richtig kalibrieren, also die Stärke des Leuchtens der Anzahl der gemessenen Ionen zuordnen. Dabei sind die Signale und damit auch der Unterschied in ihrer Stärke extrem gering.
Eine weitere Herausforderung im Vorfeld der Experimente: Nicht jede Synapse benutzt Glutamat als Botenstoff. Manche Synapsen nutzen den Botenstoff GABA. Diese GABA-Synapsen mildern die Erregung der Nervenzellen. „Wir mussten diese Synapsen also für unsere Untersuchungen aussortieren“, sagt Jürgen Klingauf. Mit einer weiteren Fluoreszenz-Sonde, einem Antikörper gegen GABA-Transporter, konnten sie GABA-Synapsen ausfindig machen und aus ihren Erhebungen herausnehmen.
Ihre Ergebnisse sicherten die Münsterschen Wissenschaftler mit Hilfe von Prof. Christoph Fahlke vom Forschungszentrum Jülich ab. Er ist Spezialist für sogenannte elektrophysiologische Messungen und konnte mit seinem Team den elektrischen Chlorid-Strom im Glutamattransporter messen. Sowohl Chlorid als auch Glutamat haben eine negative Ladung. Die Jülicher konnten mit ihren Messungen ebenfalls den Fluss der Ladungen in beiden Richtungen nachweisen und damit die Ergebnisse aus Münster bestätigen.
Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch den Exzellenzcluster „Cells in Motion“ der Universität Münster, das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) der Universität Münster, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Europäische Kommission.
Originalpublikation:
Martineau M, Guzman RE, Fahlke C, Klingauf J. VGLUT1 functions as a glutamate/proton exchanger with chloride channel activity in hippocampal glutamaergic synapses. Nat Commun 2017;8: 2279. Abstract