"Klettverschluss" der Endothelzellen
Wenn das Immunsystem reagiert, müssen Abwehrzellen und Immunbotenstoffe aus dem Blut schnell ins verletzte Gewebe gelangen. Dies geschieht durch eine Art "Klettverschluss" zwischen den Endothelzellen der Blutgefäße. Der Mechanismus, durch den diese Verschlüsse geöffnet werden, wurde jetzt von MPI-Forschern, darunter CiM-Mitglieder Dietmar Vestweber und Alexander Zarbock, entschlüsselt.
Münster (mpi) – Ein unachtsamer Moment, ein kurzer Schmerz – schon sitzt der rostige Nagel im Finger. Jetzt heißt es für das Immunsystem: blitzschnell reagieren. Binnen kürzester Zeit müssen Abwehrzellen und Immunbotenstoffe aus dem Blut ins verletzte Gewebe gelangen. Dies geschieht durch eine Art ‚Klettverschluss’ zwischen den Endothelzellen der Blutgefäße. Die molekularen Mechanismen dieser Verschlüsse wurden bislang nur in der Kulturschale untersucht, aber der Mechanismus, durch den diese Verschlüsse geöffnet werden, war bisher unklar. Forscher um Prof. Dietmar Vestweber vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin (MPI) in Münster haben nun herausgefunden, dass Immunzellen und -botenstoffe mit Hilfe zweier unterschiedlicher molekularer Modifikationen des Endothel-Proteins VE-Cadherin die Blutgefäßwand öffnen können. Die Erkenntnisse wurden jetzt in „Nature Immunology“ veröffentlicht.
Eine besondere Rolle bei Abwehrprozessen des Immunsystems haben die Endothelzellen, die die innere Zellschicht der Blutgefäße bilden: Sie regulieren nicht nur den notwendigen Stoffaustausch zwischen Gewebe und Blut, sondern sie kontrollieren auch, wann und wo im Körper Leukozyten, also die Abwehrzellen des Immunsystems, aus dem Blut ins Gewebe übertreten können. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei das Molekül Vaskulär-Endotheliales Cadherin (VE-Cadherin). VE-Cadherin-Moleküle ragen aus der Zellmembran heraus und bilden quasi als Widerhaken einen Klettverschluss zwischen Endothelzellen.
Forscher des Vestweber-Teams ahnten, dass dieser Klettverschluss mehr kann als nur sich öffnen und schließen. Denn: Leukozyten und Botenstoffe des Blutplasmas treten zwar beide aus der Blutbahn aus – immerhin beseitigen diese beiden Komponenten der Immunabwehr gemeinsam die Infektion. Frühere Studien haben aber gezeigt, dass sie trotzdem getrennt von einander und anatomisch an verschiedenen Stellen des Gefäßnetzwerkes im entzündeten Gewebe austreten. Das heißt, große Öffnungen in der Gefäßwand für Leukozyten und kleine Öffnungen für Moleküle werden unabhängig voneinander und in verschiedenen Gefäßabschnitten gebildet. Das Team um Vestweber hat diese Prozesse genauer untersucht und konzentrierte sich dabei auf die Regulierung von VE-Cadherin.
Das Öffnen und Schließen des VE-Cadherin-Klettverschlusses wird durch das Anheften von Phosphatgruppen reguliert. Diese sogenannte Phosphorylierung von Proteinen ist ein wichtiger Bestandteil regulatorischer Prozesse in der Biologie. Proteine bestehen aus einer Art Perlenkette von insgesamt 20 verschiedenen Aminosäuren – aber nur drei Typen von Aminosäuren können phosphoryliert werden, eines davon heißt Tyrosin. VE-Cadherin beim Menschen hat neun Tyrosine, bei der Maus sind es acht. Auf Grund früherer In-vitro-Studien wurde vermutet, dass bei entzündlichen Prozessen das Tyrosin 685 (Tyr685; „Perle“ Nr. 685 in der Kette) oder auch das Tyrosin 731 (Tyr731) phosphoryliert werden.
Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin wollten jetzt genauer wissen: Sind diese Tyrosine tatsächlich im lebenden Organismus für die Regulation des VE-Cadherin-Klettverschluss verantwortlich? Und wenn ja: Nehmen beide Tyrosine die gleiche Rolle ein oder regulieren sie unterschiedliche Prozesse?
Um dies herauszufinden, züchteten die Forscher transgene Mäuse, bei denen jeweils ein Tyrosin (685 bzw. 731) durch eine sehr ähnliche Aminosäure ersetzt wurde. Erstautor Florian Wessel, Doktorand in der Abteilung von Dietmar Vestweber, erklärt: „Die Funktion von VE-Cadherin wurde dadurch nicht beeinträchtigt – lediglich die Phosphorylierung an der Stelle 685 beziehungsweise 731 wurde unmöglich gemacht, und damit die Regulation von VE-Cadherin verändert“. Um die Phosphorylierung der zwei Tyrosine unterscheiden zu können, erstellten die Wissenschaftler Antikörper, die spezifisch an das phosphorylierte Tyr685 bzw. Tyr731 anhaften können. Durch eine Farbmarkierung der Antikörper konnten sie nun im Fluoreszenz-Mikroskop in Blutgefäßen von lebenden Mäusen das Austreten von Leukozyten und Blutplasma und die Regulation der Phosphorylierung von VE-Cadherin direkt beobachten.
Auf diese Weise ließ sich zeigen, dass die Phosphorylierung von Tyr685 und Tyr731 ganz unterschiedlich reguliert wurde und dass dies unterschiedliche Konsequenzen hatte. Florian Wessel: „Wir fanden heraus, dass das Austreten von Blutplasma allein durch Tyr685 reguliert wird und das von Leukozyten allein von Tyr731 beeinflusst wird“. Diese Befunde erklären, wie das Öffnen kleiner Lücken in der Gefäßwand für Moleküle und die Ausbildung großer Öffnungen für die Passage von Abwehrzellen in verschiedenen Abschnitten der Blutgefäße im entzündeten Gewebe ausgebildet werden können.
Als nächstes möchten die Forscher untersuchen, wie genau die Phosphorylierung von Tyr685 die Funktion von VE-Cadherin beeinträchtigt. Für Tyr731 wissen sie schon, dass durch die Entphosphorylierung ein anderes Protein an VE-Cadherin andocken und ein Signal zur Aufnahme dieses Moleküls in die Zelle geben kann. So wird der VE-Cadherin-Widerhaken mit samt Zellmembran von der Zelle einverleibt und der Klettverschluss gelockert.