„Wir können den Klimawandel nur global bewältigen“
Schicht im Schacht: Am Ende dieses Jahres wird mit Prosper-Haniel die letzte Steinkohle-Zeche in Deutschland schließen – das Bergwerk Anthrazit in Ibbenbüren wurde vor wenigen Tagen geschlossen. Norbert Robers sprach mit der Juristin Prof. Dr. Sabine Schlacke und dem Volkswirt Prof. Dr. Andreas Löschel über die langfristige Energieversorgung in Deutschland und über den Klimawandel.
Am 21. Dezember endet nach einer mehr als 500-jährigen Tradition der sowohl klimapolitisch als auch wirtschaftlich umstrittene Steinkohlenbergbau in Deutschland. Begrüßen Sie daher beide das Ende der letzten Schicht?
Sabine Schlacke: Diese Entscheidung ist zwar gut für das Klima. Aber das ist nicht der entscheidende Grund für den Ausstieg. Jeder weiß seit Langem, dass dieser Wirtschaftszweig nicht mehr rentabel ist – das ist das entscheidende Motiv.
Andreas Löschel: Völlig richtig. Aber wir alle wissen, wie tief der Bergbau in den Köpfen der Ruhrgebiets-Bewohner verankert ist, damit verbinden viele Menschen echtes Heimatgefühl. Nur eine Kleinigkeit, aber sie spricht Bände: Zum Ende des Steinkohlenbergbaus gibt es sogar ein Panini-Sammelheft beispielsweise mit Fotos der alten Zechen und Kohlebarone. Diese emotionale Seite kann man nicht außer Acht lassen.
In Zukunft fördern wir zwar keine Steinkohle mehr, sondern importieren sie ...
Löschel: Es wäre zu kurz gesprungen, lediglich deutsche Kohle durch Kohle aus dem Ausland zu ersetzen. Zur Erreichung der Energie- und Klimaziele muss es langfristig weltweit darum gehen, aus der Kohle insgesamt auszusteigen …
Schlacke: … wobei ich als Juristin darauf hinweisen möchte, dass wir dabei immer auch in die Grundrechte etwa von Unternehmen eingreifen. So werden von einem Abschaltgesetz für Kohlekraftwerke beispielsweise deren Betreiber und die Abbaufirmen betroffen sein. Und wenn man sich wirklich von dem Kohleausstieg eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen verspricht, dann müsste man konsequenterweise ein Importverbot für Kohle verhängen.
Löschel: Deutschland deckt einen Großteil seines Energiebedarfs durch Importe. Das wird auch absehbar so bleiben. Deswegen halte ich nichts von Importverboten. Aber man muss natürlich alle negativen Umweltwirkungen von solchen Importen berücksichtigen, von der Gewinnung, dem Transport bis hin zur Verfeuerung und dem Verbrauch. Genau das passiert bereits durch den Emissionshandel.
Der eine oder andere Beobachter betrachtet mit Sorge, wie radikal Deutschland die Energiewende vollzieht. Sind wir energiepolitisch ausreichend darauf vorbereitet?
Löschel: Augenblicklich ist die Energiewende in Deutschland – bei allen Problemen – auf Kurs. Besonders wichtig ist es, die Bezahlbarkeit für Unternehmen und Verbraucher und die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten.
Schlacke: Für Deutschland kommt der Ausstieg aus der Atomenergie als I-Tüpfelchen hinzu. Das ist, energiepolitisch betrachtet, eine durchaus brisante Entscheidung. Auf der anderen Seite sind sich nahezu alle Experten darin einig, dass wir prinzipiell mittel- und langfristig all dies mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienzmaßnahmen auffangen können ...
... nur dass uns noch die dafür notwendigen Netze, sprich Strom-Autobahnen, fehlen.
Schlacke: Das stimmt, es mangelt an Übertragungsnetzen.
Löschel: Deshalb wird die Versorgungssicherheit europaweit intensiv beobachtet. Welche kritischen oder ungewöhnlichen Situationen können eintreten? Wie gehen wir mit Dunkelflauten um, wenn Wind und Sonne über einen längeren Zeitraum kaum zur Stromerzeugung beitragen? Augenblicklich können wir beruhigt sein. Aber eines ist auch klar: In Zukunft werden wir verstärkt auf Gaskraftwerke setzen und die Stromnachfrage flexibilisieren, um solche Ausnahmesituationen abfedern zu können.
Die Energiewende soll vor allem dem Klimaschutz dienen. Aber wozu all diese Mühe, wenn derzeit weltweit schätzungsweise mehr als 1500 neue Kohlekraftwerke im Bau sind?
Löschel: Das ist in der Tat problematisch. Wenn das Pariser Klimaabkommen ernst genommen wird, können sich diese Investitionen nicht rechnen. Denn zur Erreichung der Ziele dürfen fossile Energieträger wie Öl, Gas oder Kohle bis 2050 für die Stromerzeugung keine Rolle mehr spielen.
Schlacke: Die von Ihnen beschriebene Entwicklung zeigt vor allem, dass wir den Klimawandel nur global bewältigen können. Das Positive am Pariser Abkommen ist, dass sich alle Staaten darin verpflichten, die weltweite Erderwärmung bis 2100 auf weniger als zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen ...
... nur dass diese Verpflichtungen eben nur auf dem Papier stehen, ohne dass es Sanktionen für vertragsbrüchige Staaten gibt.
Schlacke: Das ist wirklich ein Problem. Es gibt zwar ein sinnvolles Ziel, aber keine verpflichtenden Mechanismen. Dagegen hilft Transparenz, die das Pariser Klimaabkommen vorsieht: Staaten, Nichtregierungsorganisationen und Bürger haben die Möglichkeit zu überprüfen, wer sich an Absprachen hält und wer nicht. Die Zivilgesellschaft kann eine kontrollierende Funktion übernehmen – sie kann politischen Druck ausüben.
Allerdings haben die USA das Abkommen aufgekündigt, und in China hat die Zivilgesellschaft wenig bis keinen Einfluss – eben diese beiden Länder sind aber die weltweit größten Treibhausgasemittenten.
Löschel: Das stimmt. Aber es greift ohnehin zu kurz, einzig und allein auf die Emissionsmengen zu schauen. In den USA beispielsweise sind dank billigem Erdgas durch die umstrittene Fracking-Fördertechnik die Emissionsmengen stark gesunken. Das hatte aber nichts mit einem Bewusstseinswechsel oder dem richtigen politischen Rahmen zu tun. Aber genau darauf kommt es auch an. China darf seinen Emissionsausstoß sogar bis 2030 noch steigern ...
... aber gibt es denn dort ein echtes Klimaschutz-Bewusstsein?
Schlacke: China ist eine Autokratie, alles hängt vom politischen Willen des Politbüros ab. Positiv gewendet bedeutet das: China kann sehr schnell sehr fortschrittlich agieren.
Wir haben viel über Risiken, Gefahren und Unwägbarkeiten für das Weltklima diskutiert. Sind Sie trotzdem optimistisch?
Schlacke: Ich bin großer Hoffnung, dass wir die Zwei-Grad-Celsius-Leitplanke nicht überschreiten – nur müssten wir dafür jetzt schnell das Emissions-Maximum erreichen, um ebenso schnell den Ausstoß radikal zu reduzieren.
Löschel: Was mich unter anderem optimistisch stimmt, ist die beeindruckende Dynamik der technologischen Entwicklungen in der Energiewelt, insbesondere die Digitalisierung und die sinkenden Kosten bei Photovoltaik und Speichern. Das Einhalten des Zwei-Grad-Ziels wird trotzdem extrem schwierig.