Zwischenbilanz bei internationalem Großprojekt "XENON": Ein Jahr Suche nach Dunkler Materie
Zwischenbilanz nach rund einem Jahr Messzeit: Wissenschaftler der internationalen „XENON“-Kollaboration, an der auch Physiker der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) beteiligt sind, haben heute (28. Mai) die neuesten Ergebnisse des „XENON1T“-Detektors in zeitgleichen Vorträgen im italienischen Nationallabor LNGS und am europäischen Teilchenlabor CERN bei Genf vorgestellt. Bei XENON1T handelt es sich um das weltweit empfindlichste Nachweisgerät zur Suche nach Teilchen Dunkler Materie. Genauer gesagt: Die Wissenschaftler suchen nach sogenannten WIMPs (weakly interacting massive particles). Diese hypothetisch vorhergesagten Teilchen sind sehr aussichtsreiche Kandidaten, aus denen Dunkle Materie bestehen könnte. Der Detektor misst Kollisionen von WIMPs mit Teilchen flüssigen Xenons, einem Edelgas. „1T“ im Namen steht für eine Tonne Xenon.
„Wenn ein derartiges Experiment startet, betreten wir jedes Mal Neuland. So auch dieses Mal. Ich bin begeistert, dass die Messungen so reibungslos liefen und wir die anvisierte Empfindlichkeit erreichen konnten“, bilanziert Astroteilchenphysiker Prof. Dr. Christian Weinheimer von der WWU, der mit seiner Arbeitsgruppe beteiligt ist. Ob WIMPs tatsächlich die gesuchten Dunkle-Materie-Teilchen sind, können die Forscher nach 279 Tagen Messzeit noch nicht sagen. Denn der Detektor „XENON1T“, der im unterirdischen Gran-Sasso-Nationallabor LNGS im Gran-Sasso-Gebirge in den Abruzzen in Italien steht, hat bisher keine WIMPs gefunden. Die bisherigen Messergebnisse belegen aber, dass WIMPs – falls sie tatsächlich die Dunkle Materie in der Galaxis bilden – ein derart seltenes Signal erzeugen, dass selbst der weltweit empfindlichste bisher gebaute Detektor diese Teilchen bis jetzt noch nicht nachweisen konnte.
Ausbau des Detektors geplant
Doch auf diesen Nachweis arbeiten die Forscher weiter hin – mit dem Ausbau des Detektors zu einem künftig noch empfindlicheren Detektor „XENONnT“. Die Messempfindlichkeit von XENON1T ist bereits um rund vier Größenordnungen besser als die des ersten Detektors des XENON-Projekts, der ab 2005 im Gran-Sasso-Untergrundlabor in Betrieb war. XENON1T sammelt weiter Daten – auch für andere physikalische Fragestellungen –, bis die derzeit in der Vorbereitung befindliche noch empfindlichere Version des Detektors einsatzbereit ist. Mit viermal mehr nutzbarem Xenon und zehnmal geringerer Hintergrundrate wird der Nachfolge-Detektor ab 2019 wieder eine neue Phase der Suche nach Dunkle-Materie-Teilchen starten – und dabei eine Empfindlichkeit erreichen, die zu Projektbeginn unvorstellbar schien. „Wenn Dunkle Materie tatsächlich aus WIMPs besteht, bin ich sehr zuversichtlich, dass uns mit der nächsten Ausbaustufe der Nachweis gelingen kann“, unterstreicht Christian Weinheimer.
Empfindlichkeitsrekord aufgestellt
Die größte Herausforderung bei der Entwicklung des derzeitigen Detektors war die Reduktion der zahlreichen Störsignale („Hintergrund“), verursacht von natürlicher Radioaktivität und kosmischer Strahlung. Aktuell ist XENON1T das größte Dunkle-Materie-Experiment mit dem niedrigsten je gemessenen Hintergrund von nur zwei Störsignalen pro Tag, die durch die spezielle XENON-Technologie von WIMP-Signalen unterschieden werden können – die Wissenschaftler haben also bereits einen Empfindlichkeitsrekord aufgestellt.
Die internationale XENON-Kollaboration besteht aus mehr als 165 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von 27 Institutionen. Aus Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und die Westfälische Wilhelms-Universität Münster beteiligt.
Der Beitrag der münsterschen Physiker
Die münsterschen Wissenschaftler um Christian Weinheimer haben einen zentralen Beitrag dazu geleistet, dass diese Suche nach WIMPs überhaupt möglich ist. Bevor XENON1T seine Messungen aufnahm, hatten Spuren des Edelgases Krypton, die das Xenon verunreinigen, Störsignale verursacht. Die Münsteraner entwickelten eine einzigartige Technik, basierend auf einer sogenannten kryogenen Destillationssäule, um diese Krypton-Spuren in nie da gewesener Reinheit zu entfernen. Für das Nachfolge-Experiment XENONnT entwickeln sie eine noch 20-fach leistungsfähigere Anlage, um auch die zweite Störquelle, das radioaktive Edelgas Radon, kontinuierlich entfernen zu können. Ein Nebenaspekt: Diese Technologie übertragen die Forscher derzeit in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Klaus Schäfers vom „European Institute for Molecular Imaging“ (EIMI) der WWU auf einen medizinischen Anwendungsbereich, und zwar auf ein bildgebendes Verfahren, die sogenannte Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Im Zuge der Entwicklung eines neuen PET-Detektors ist es nötig, eine Methode zur Reinigung von flüssigem Trimethylbismuth zu entwickeln, das bei der PET eingesetzt wird. Hierfür wollen die Wissenschaftler die bei XENON1T bewährte Technik weiterentwickeln. Dieses Projekt ist Teil des Exzellenzclusters „Cells in Motion“.
Die Arbeiten der münsterschen Wissenschaftler werden durch Mittel zur Verbundforschungs-Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie über das Graduiertenkolleg 2149 "Starke und schwache Wechselwirkung – von Hadronen zu Dunkler Materie" durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt.