Unternehmen und ihr Umfeld
Manche unterstützen den Sportverein, andere führen Betriebskindergärten ein oder spenden für den Regenwald: Unternehmen engagieren sich heute häufig unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit. Doch welchen Einfluss haben etwa Anwohner, Politik oder Nichtregierungsorganisationen auf diesen kulturellen, sozialen oder ökologischen Einsatz? "Firmen richteten ihr Engagement seit 1945 immer stärker an gesellschaftlichen Forderungen aus", sagt die Historikerin Inga Nuhn von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). In ihrer Doktorarbeit verglich sie die Entwicklung der Nachhaltigkeitskonzepte des deutschen Chemiekonzerns Bayer und des niederländischen Unternehmens De Staatsmijnen (DSM), das ursprünglich im Bergbau tätig war und heute ebenfalls zur chemischen Industrie gehört.
Ein Jahr verbrachte die Historikerin in den Unternehmensarchiven. Sie durchforstete mehr als 10.000 Vorstands- und Abteilungsprotokolle, 2000 Mitarbeiterzeitschriften und 150 Geschäfts-, Umwelt- und Sozialberichte. Mit einem interessanten Ergebnis: "Während in den Nachkriegsjahren vor allem die eigenen Mitarbeiter im Fokus standen, richteten die Unternehmen ihre späteren Aktivitäten immer stärker an externen Interessengruppen aus", erläutert die 29-Jährige.
Anfangs profitierten besonders die Arbeitnehmer von der betrieblichen Sozialpolitik – im Wirtschaftswachstum der 50er und 60er Jahre eine wichtige Maßnahme, um begehrte Arbeitskräfte zu binden. Während das deutsche Unternehmen die interne Sozialpolitik jedoch weitgehend autark gestaltete, hatte der Staat beim niederländischen Konzern DSM viele Mitspracherechte.
Äußere Interessen spielten erst in den 60er und 70er Jahren in beiden Unternehmen eine Rolle: Politik, Anwohner und Umweltgruppen protestierten in vielen europäischen Ländern gegen Ruß und vergiftete Flüsse. Die Industrie rüstete mit höheren Schornsteinen oder Filtern nach und verstärkte ihre externe Kommunikation. Im Unterschied zu den radikalen deutschen Protestlern suchten niederländische Kritiker stärker mit den Unternehmen nach pragmatischen Lösungen.
Die ausgewerteten Quellen zeigen, wie groß der gesellschaftliche Einfluss auf die Unternehmen war: Aufgrund der hohen gesetzlichen Auflagen stand Bayer dem Umweltschutz beispielsweise erst skeptisch gegenüber – der Konzern fürchtete Nachteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Anders die Niederländer: DSM, das als damaliges Staatsunternehmen eine Vorbildfunktion erfüllen sollte, wertete neue Umweltschutztechniken schnell als Wettbewerbsvorteil. In den 80er Jahren entwickelten beide Unternehmen offensive Umweltstrategien – auch um höheren gesetzlichen Auflagen zuvorzukommen.
Alles nur Imagepflege? "Es gibt viele Graustufen", so das Fazit der Historikerin. Wer sich näher mit dem Thema beschäftige, entwickle Verständnis für unternehmerische Belange. Gleichzeitig habe sie bei der Quellenrecherche festgestellt, dass Hochglanzbroschüren nicht immer der Realität entsprächen. Heute lässt sich die Verantwortungsübernahme im Kerngeschäft der Unternehmen allerdings nur schwer überprüfen: Auf interne Dokumente der vergangenen 20 bis 30 Jahre haben Historiker aufgrund der gesetzlichen Sperrfrist für öffentliche Archive nur selten Zugriff.
Dennoch blickt Inga Nuhn optimistisch in die Zukunft: "Der Trend geht zum sogenannten integrated reporting, bei dem Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht in einem Dokument erscheinen." Dann kontrollieren Wirtschaftsprüfer nicht mehr nur Geschäftsbilanzen – sondern auch, wie nachhaltig Unternehmen sind.