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Münster (upm/ch).
Fabian Schöttke im Physikalischen Institut an der Apparatur ROSE. Darin führt er die Spin-Experimente im Ultrahochvakuum durch.<address>© Uni MS - Linus Peikenkamp</address>
Fabian Schöttke im Physikalischen Institut an der Apparatur ROSE. Darin führt er die Spin-Experimente im Ultrahochvakuum durch.
© Uni MS - Linus Peikenkamp

„Der Spin ist die Ursache für alle Formen von Magnetismus“

Physik-Doktorand Fabian Schöttke erklärt, was der Elektronen-Spin mit unserem Alltag zu tun hat

In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Markus Donath am Physikalischen Institut der Universität Münster erforscht Fabian Schöttke ein intuitiv kaum zugängliches Phänomen: den Spin von Elektronen. Warum der Spin im Alltag präsent ist und wie er helfen könnte, in elektronischen Anwendungen Energie zu sparen, erklärt der Doktorand im Interview mit Christina Hoppenbrock.

Elektronen-Spin – was ist das?

Eine Erklärung des Elektronen-Spins klingt immer etwas holprig. Er ist etwas rein Quantenmechanisches, was wir mit unseren Sinnen nicht erleben können. Er entspricht einem sogenannten Eigendrehimpuls der Elektronen, lässt sich also physikalisch so beschreiben, als würden die Elektronen rotieren.

‚Elektronen-Spin gleich Eigendrehimpuls‘ klingt nicht sehr anschaulich ...

... aber das Phänomen ist im Alltag sichtbar. Die ‚Rotation‘ der elektrisch geladenen Elektronen macht aus den Elektronen kleinste Elementarmagnete und ist damit die Ursache für alle Formen von Magnetismus. Am bekanntesten ist Ferromagnetismus. Dabei wirken alle Elektronen zusammen und ‚rotieren‘ gleich. In vielen Fällen kann der Spin nur zwei Werte haben, entweder eine Drehung rechts- oder linksherum. Ein stabförmiger Ferromagnet hat an einem Ende den Nordpol und am anderen Ende den Südpol.

Den Spin kann man nicht sehen. Wie misst man ihn?

Für den ersten experimentellen Nachweis haben die Physiker Otto Stern und Walther Gerlach Anfang der 1920er-Jahre den Zusammenhang von Spins und Magnetfeldern genutzt. In ihrem historischen Experiment, bei dem ein Atomstrahl ein Magnetfeld durchläuft, beobachteten sie die Aufspaltung in zwei Teilstrahlen. Allerdings erkannte man erst später, dass sie damit den Elektronenspin nachgewiesen hatten. Mittlerweile gibt es viele Methoden, um den Spin zu messen. Ein typisches Beispiel ist die Frage, wie die Spins in einem Strahl von Elektronen ausgerichtet sind. Dafür richtet man diesen Strahl entweder auf einen Spiegel aus ferromagnetischem Eisen oder extrem schweren Atomen wie Wolfram oder Gold. Die Anzahl der reflektierten Elektronen hängt von der Ausrichtung der Spins ab. Daher kann man aus der Intensität des reflektierten Strahls auf die Ausrichtung der Spins im ursprünglichen Elektronenstrahl zurückschließen.

Um den Spin nutzen zu können, muss man ihn steuern. Wie machen Sie das?

Wir erzeugen einen Spin-polarisierten Elektronenstrahl, mit dem wir die vom Spin abhängigen Eigenschaften verschiedener Materialien untersuchen. Das funktioniert, indem wir Laserlicht auf einen Galliumarsenid-Kristall richten. Dieses Licht löst durch den Photoeffekt Elektronen aus dem Kristall. Die Spins der Elektronen steuern wir über die Polarisation des Laserlichtes. Dieses Verfahren ist sehr gut für unsere Grundlagenforschung an neuen Materialien geeignet, aber zu umständlich für die meisten technischen Anwendungen.

Welche Rolle spielt denn der Spin in elektronischen Anwendungen?

Eine sehr große, die sogar noch wächst. Die seit Jahrzehnten verbreiteten Festplatten speichern jede digitale Information aus 1 oder 0 in Form von kleinen Magneten mit Süd-Nord- oder Nord-Süd-Ausrichtung. Die Zunahme an Speicherkapazität dieser Festplatten wurde und wird ermöglicht, weil wir Spins immer besser kontrollieren können. Das betrifft zum einen neue Materialien, aus denen sich immer kleinere, aber dauerhafte Magnete herstellen lassen, als auch unsere Fähigkeit, die Ausrichtung dieser Magnete präziser auszulesen und zu steuern. Eine weiterführende Idee ist unter dem Stichwort ‚Spintronik‘ bekannt. Dieses Kunstwort aus Spin und Elektronik steht für die Möglichkeit, Informationen statt mit der elektrischen Ladung von Elektronen über deren Spin zu übertragen. Das könnte mehrere Vorteile haben. Besonders spannend finde ich die potenzielle Einsparung von Energie. Es gibt zum Beispiel Materialien, die nur für Elektronen einer Spin-Orientierung leitend sind. Diese Elektronen fließen zusätzlich mit wesentlich verringertem Widerstand, was den Energieverbrauch für die Informationsübertragung stark reduziert.

Für Ihre Forschung sind besonders die Grenzflächen von Festkörpern spannend. Weshalb?

Unsere moderne Informationstechnologie wird immer kleiner. Das trifft nicht nur auf die Geräte wie Smartphones und Computer als Ganzes zu, sondern besonders auch auf die Bauteile, aus denen sie bestehen. Die Größe der Leiterbahnen und ‚Schalter‘ auf diesen Bauteilen wurde inzwischen auf einige Dutzend Atome reduziert. In winzigen Bauteilen besteht also fast alles aus ‚Grenzflächen‘. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir diese Bauteile verstehen wollen. Auch wenn das überraschend klingt, helfen uns die Grenzflächen in der Spintronik sogar: Aus den Regeln der Quantenphysik für Festkörper folgt, dass die vom Spin abhängige Elektronenleitung oft nur an Grenzflächen möglich ist. Wir untersuchen Grenzflächen und neue Materialien auf Abhängigkeiten vom Spin, um die zugrundeliegenden Zusammenhänge und Prozesse zu verstehen. Damit tragen wir zur Entwicklung der Spintronik bei.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 17. Juli 2024.

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