Extremwetter fördert psychische Erkrankungen
Die Bilder von der jüngsten Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland vom Juni sind noch frisch. Sechs Menschen fielen der Flut zum Opfer. Vor drei Jahren, im Juli 2021, starben bei der verheerenden Überschwemmung im Ahrtal 135 Menschen, und das Jahrhunderthochwasser von Münster, in dem zwei Personen umkamen, jährt sich in diesem Monat zum zehnten Mal. Mit 292 Litern pro Quadratmeter fiel an einem Abend so viel Regen wie nie zuvor in so kurzer Zeit in Deutschland.
Starkregen, Hitzewellen, Stürme – durch die menschengemachte Klimakrise häufen sich die Extremwetterlagen. In der Berichterstattung liegt der Fokus oft auf Versicherungsfragen und dem Wiederaufbau der Infrastruktur, doch welche Spuren hinterlassen solche Ereignisse in der Psyche von Betroffenen? Dazu forscht der Psychologe Prof. Dr. Nexhmedin Morina an der Universität Münster. „Die häufigsten Erkrankungen nach einem Extremwetterereignis sind Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Dabei spielt die direkte Betroffenheit eine Rolle, etwa ob die Person hohe materielle Verluste erlitten hat, in Lebensgefahr war oder gar Angehörige verloren hat“, schildert er. Auch die Region sei ein wichtiger Faktor: „Im globalen Süden mit Ausnahme von Australien und Japan entwickeln etwa ein Viertel der direkt Betroffenen eine PTBS oder eine Depression. In dieser Region kommen weitere belastende Erfahrungen wie Armut oder Krieg hinzu, die Menschen fühlen sich schneller im Stich gelassen.“
Es gibt mehrere internationale Studien zum Thema, für Deutschland ist die Datenlage allerdings noch dünn. Das 2023 veröffentlichte „Journal of Health Monitoring“ vom Robert-Koch-Institut (RKI) hält fest, dass Frauen und Personen, die bereits eine psychische Störung haben, besonders anfällig sind. „Menschen, die sehr zum Grübeln neigen, sind gefährdeter, und das sind in der Mehrzahl Frauen“, bestätigt Nexhmedin Morina. Männer neigten eher zu Suchtverhalten. Internationale Studien belegen einen Anstieg von Substanzmissbrauch etwa nach Überschwemmungen. Hitzewellen hingegen fördern laut dem RKI-Monitoring aggressives Verhalten. An sehr heißen Tagen kommt es zu erhöhter Straffälligkeit und mehr Einweisungen in psychiatrische Einrichtungen, dort häufen sich dann Konflikte mit Patientinnen und Patienten. Das Suizidrisiko steigt nach außergewöhnlich warmen Tagen an.
Welche Faktoren schützen davor, eine psychische Erkrankung zu entwickeln? Laut Nexhmedin Morina ist es eine Mischung aus sozialen und individuellen Aspekten. „Menschen, die in einem stabilen Umfeld aufgewachsen sind, sind generell resilienter. Das soziale Netz spielt eine große Rolle, so auch die Erfahrung von Hilfe und Solidarität von Privatpersonen und seitens des Staates nach einer Naturkatastrophe.“ Wer seine Gefühle gut regulieren und einen konstruktiven Umgang mit dem Erlebten entwickeln könne, sei weniger anfällig.
Auch die kollektive Stimmung in der Bevölkerung kann nach Extremwetter leiden. Umfragen im Juli 2021 zeigten einen Anstieg von Gefühlen wie Angst, Trauer und Wut in Deutschland, hält das RKI fest. Dies hängt vermutlich mit der Berichterstattung über die Katastrophe im Ahrtal zusammen. Doch selbst angesichts sich häufender Katastrophenmeldungen – laut einer UN-Studie haben sie sich seit 1980 verdoppelt, teilweise verdreifacht – betont Nexhmedin Morina: „Wir müssen unser Verhalten ändern, dafür brauchen wir die Nachrichten.“ Dies passt zum Fazit des RKI-Monitorings, in dem es kurz und bündig heißt: „Klimaschutz ist der wirksamste Gesundheitsschutz.“
Autorin: Anke Poppen
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 17. Juli 2024.