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Die Olympischen Spiele begleitet eine Streitfrage: Dürfen Transpersonen teilnehmen?<address>© kovop58 - stock.adobe.com</address>
Die Olympischen Spiele begleitet eine Streitfrage: Dürfen Transpersonen teilnehmen?
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„Zurzeit gibt es keine faire Lösung“

Sportwissenschaftlerin Mara Konjer über den Umgang mit Transpersonen im Wettkampfsport

Ende Juli beginnen in Paris die Olympischen Spiele. Ein Streitthema ist der Umgang mit intersexuellen und Transgender-Athletinnen. Dr. Mara Konjer ist Sportwissenschaftlerin an der Universität Münster und Vizepräsidentin für Sportentwicklung im Deutschen Leichtathletikverband. Mit Hanna Dieckmann sprach sie über die Schwierigkeit, den Konflikt zu lösen, solange es keine Klarheit über die tatsächlichen Vorteile gibt.

Welche Vorgaben macht das Internationale Olympische Komitee (IOC)?

Bis Ende 2022 gab es Regeln für trans- und intersexuelle Athletinnen, zum Beispiel zur Einhaltung von Testosteronobergrenzen. Die Diversitätskommission stellte aber fest, dass diese nicht zur Vielfalt des Olympischen Sports passen. In Sprint- und Kraftdisziplinen zum Beispiel kann mehr Muskelmasse durch Testosteron ein Vorteil sein, nicht so bei Langstreckenläufen. Außerdem könnten Transathletinnen zum Beispiel in Sportarten wie Schwimmen von mehr Körpergröße und längeren Gliedmaßen profitieren.

Und wie hat das IOC dieses Problem gelöst?

Es überlässt es den Mitgliedsverbänden, unter der Einhaltung bestimmter Werte wie Offenheit und Fairness Regelungen zu finden. Ich sprach damals mit Magali Martowicz (Head of Human Rights beim IOC), und sie war davon überzeugt, dass die zahlreichen Gespräche mit den Verbänden zu mehr Offenheit führen.

Dr. Mara Konjer<address>© privat</address>
Dr. Mara Konjer
© privat
Hat sich das bewahrheitet?

Nein. In zehn Sportarten ist der Zugang stark beschränkt oder verboten, zum Beispiel im Schwimmen. Aus meiner Sicht war der Versuch der Öffnung durch das IOC aufrichtig. Zugleich war es naiv, zu glauben, dass die Verbände progressiver reagieren würden. Mir ist keine Transperson bekannt, die in Paris startet.

Was macht eine faire Lösung so schwierig?

Zum einen reden wir über 32 olympische Sportarten und 48 Disziplinen. Die körperlichen Anforderungen sind so unterschiedlich, dass es schwierig ist, allgemeingültige Aussagen zu treffen. Nicht in allen Sportarten profitieren Athletinnen von mehr Muskelmasse, Größe oder Gewicht. Zum anderen soll der Sport für alle gerecht sein. Trans-Athletinnen fehlt die Lobby, weil es nur wenige gibt. Der Sport ist anscheinend noch nicht so weit, über den Tellerrand zu schauen.

Was kann die Wissenschaft zur Lösung beitragen?

Sie sollte eine Basis herstellen, auf der sich Entscheidungen begründet treffen lassen. Das steht und fällt mit der Förderung, und die ist aufwendig und teuer. Es gibt bisher nur kleine Studien, die nicht repräsentativ sind. Wir brauchen aber übertragbare Daten, welche Vorteile Transathletinnen tatsächlich haben. Erst dann kann es individuelle Regeln geben. Die Wissenschaft sollte Antworten liefern, sie kann es aber derzeit nicht.

Sie klingen pessimistisch ...

Es wird zukünftig sicher mehr Fördergeld geben. Aber es ist wahr: Ich fürchte, dass es zurzeit keine für alle Beteiligten faire Lösung gibt. Abgesehen von zwei radikalen Optionen.

Welche wären das?

Entweder man schafft die Kategorie Geschlecht im Wettkampfsystem komplett ab oder den Leistungssport als solchen.

Das dürfte kaum durchzusetzen sein – auch bei den Konsumenten ...

Das ist ein wichtiger Punkt. Meine Studierenden haben Umfragen mit Zuschauern, Athletinnen und Verbänden gemacht, die sehr ernüchternd sind: Je älter und männlicher, desto verschlossener stehen sie zur Inklusion. Je jünger und weiblicher, desto offener die Haltung. Da erstere jedoch die Hauptgruppe der Konsumenten sind, wäre ein progressiverer Umgang mit der Thematik für die Verbände auch ein Risiko.

Wie nutzen Sie Ihre Doppelrolle?

Ich kann den Verband mit wissenschaftlicher Distanz beraten und Anstöße von dort in meine Forschung einfließen lassen. Wenn ich von außen auf die Debatte blicke, denke auch ich: Das muss doch zu lösen sein. Aber von innen sieht es deutlich komplizierter aus.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 17. Juli 2024.

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