Kann die Wissenschaft dabei helfen, Konflikte zu lösen?
Im Frühling 1994 stand der damals 18-jährige Oleksii Makeiev vor einer richtungsweisenden Entscheidung: Nimmt er das Studium Internationale Beziehungen an der ukrainischen Taras-Schewtschenko-Universität oder doch Betriebswirtschaftslehre an der Universität Münster auf? Er entschied sich für das Studium in Kiew. Am Dienstag (21. November), also fast 30 Jahre später, stand der Botschafter in der Aula des münsterschen Schlosses – dem Ort, wo er einst beinahe sein Studium begonnen hatte. "Das ist für mich ein emotionaler Moment", betonte er. Gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Quante, Prof. Dr. Frank Dellmann, Prof. Dr. Ricarda Vulpius und Ruprecht Polenz diskutierte Oleksii Makeiev, der seit Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Deutschland ist, vor rund 200 Zuhörern über die Bedeutung der Wissenschaftsdiplomatie in Zeiten des Krieges in der Ukraine. „Wissenschaft ist unverzichtbar für die Demokratie. Daher ist es ihre Aufgabe, eine Möglichkeit vorzugeben, Kriege und Konflikte zu lösen“, betonte Michael Quante, Prorektor für Internationales und Transfer der Universität Münster.
Viel diskutiert wurde die Frage nach der Macht und dem Einfluss der Diplomatie auf den russischen Angriffskrieg. „Seit 2014 haben wir mit Russland rund 200 Verhandlungsrunden geführt und über 50 Feuerpausen vereinbart“, erklärte Oleksii Makeiev. Keines dieser Gespräche habe zum Ziel geführt, zu einem Frieden. „Solange Russland die Existenz der Ukraine nicht akzeptiert, kann es keine diplomatische Lösung geben“, ergänzte Ricarda Vulpius, Professorin für osteuropäische und ostmitteleuropäische Geschichte der Universität Münster. Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, pflichtete ihr bei. Solange Russland seine imperialen Ansprüche mit Gewalt vorantreibe, gebe es „keine Möglichkeit“, durch Friedensgespräche den Krieg zu beenden.
Alle Diskussionsteilnehmer betonten, dass der Krieg gegen die Ukraine nicht erst im Februar 2022, sondern bereits mit der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion im Jahr 2014 durch Russland begonnen habe. Ricarda Vulpius erinnerte sich in dem Zusammenhang an einen „schrecklichen Aufruf“ vom 5. Dezember 2014: 60 deutsche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur hatten seinerzeit die Bundesregierung dazu aufgefordert, auch nach der Annexion den Dialog mit Russland zu suchen. Der Gegenappell von 120 Osteuropaexperten aus der Wissenschaft bekam dagegen nur wenig Aufmerksamkeit. „Schon zu diesem Zeitpunkt hätte man die Hoffnung in Friedensgespräche mit Russland aufgeben müssen“, betonte Ricarda Vulpius.
„In der heutigen Zeit ist Diplomatie Storytelling“, hob Oleksii Makeiev hervor. Jeder Ukrainer habe eine persönliche Geschichte zu erzählen – so auch der Botschafter selbst. Sein Vater liege im Krankenhaus, und jeden Tag stelle er sich die Frage: Was passiert, wenn die Angriffe einen Stromausfall verursachen und die medizinische Versorgung gefährden? „Es ist unter anderem die Unterstützung aus Deutschland, die dafür sorgt, dass meine Eltern noch am Leben sind“, drückte Oleksii Makeiev seine Dankbarkeit aus.