Gibt es das „optimale Lernen“?
Der digitale Wandel vollzieht sich in allen Bereichen der Gesellschaft und ist längst Alltag. Expertinnen und Experten schauen sehr genau hin: Denn einige Wissenschaftler warnen davor, Kinder, Jugendliche und Studierende zu früh oder ausschließlich digitale Medien nutzen zu lassen. Im Schulalter und darüber hinaus birgt die Digitalisierung aber auch viele Chancen für die Bildung. In dieser mehrteiligen Serie schätzen Experten aus Politik und Hochschulpolitik sowie Forscher aus verschiedenen Bereichen wie der Psychologie, Neurowissenschaft und Didaktik die Risiken und Chancen des digitalen Wandels ein. Beispiele zeigen, wie die Digitalisierung Studium und Lehre, aber auch die Lehrerausbildung an der WWU verändern.
Teil 2: Hilft die Technik beim Lernen oder ist sie im Weg? Zwei Statements darüber, wie wir uns Dinge merken
„Die Frage des optimalen Lernens beschäftigt die Wissenschaft bereits seit vielen Jahren. Durch die zunehmende Digitalisierung stellt sich diese Frage gleichwohl immer wieder aufs Neue. Grundsätzlich gilt: Je ,komplizierter‘ der Lernprozess abläuft, also beispielsweise am PC und gleichzeitig durch Abschreiben oder Zeichnen, umso einzigartiger wird das Wissen, das zudem auf diese Weise an mehreren Stellen im Gehirn abgespeichert wird. Dieser sogenannte multimodale Prozess geht unter anderem auf die Montessori-Pädagogik zurück – Ziel ist es, das Wissen optimal zu speichern und abzurufen. Hierzu passt die Perspektive des ,embodied cognition‘, also des verkörperten Wissens mit seinen multimodalen sensorischen und motorischen Verbindungen.
Andere Prinzipien sind beispielsweise, dass ich mein Wissen besser abrufen kann, wenn die Abrufbedingungen den Lernbedingungen möglichst ähneln; je größer der Lernaufwand ist, umso erfolgversprechender sind meine Versuche, dieses Wissen irgendwann wieder abrufen zu können. Mit dem für viele Jugendliche heute so typischen Tippen am PC und Wischen am Handy ist der Wissenserwerb dagegen aus senso-motorischer Perspektive sehr limitiert. Das fördert eher den sogenannten ,google-Effekt‘, den man auch als digitale Amnesie bezeichnet: Viele Menschen vergessen Informationen schneller, wenn sie wissen, dass sie sie mit Hilfe von Internet-Suchmaschinen leicht online wiederfinden können.“
Prof. Dr. Martin Fischer, Professur für Kognitionswissenschaften an der Universität Potsdam
„Von einer vermeintlichen digitalen Demenz zu sprechen, kommt zwar gut an – aber häufig handelt es sich dabei eher um eine digitale Panikmache oder analoge Romantik. Oft zitiert ist die Behauptung, unsere Aufmerksamkeitsspanne sei gesunken und heute nur noch so kurz wie die eines Goldfischs. Dahinter steckt die Sorge, unsere kognitiven Fähigkeiten hätten irgendwie abgenommen. Schaut man jedoch, woher dieses Narrativ kommt, stößt man letztlich auf eine Infografik aus einem Unternehmensbericht von Microsoft Kanada, für die es keinerlei empirische Grundlage gab. Aber der Kulturpessimismus ist so anschlussfähig, dass Medien ihn immer wieder aufgreifen.
Eine 2009 veröffentlichte Multitasking-Studie hat ebenfalls für viel Wirbel gesorgt. Deren Autoren ließen Probanden typische experimentelle Laboraufgaben machen, um ihre Konzentrationsfähigkeit zu messen. Das Ergebnis: Wer oft mehrere Medien gleichzeitig konsumierte, zum Beispiel Nachrichten lesen beim Fernsehen schauen, schnitt dabei schlechter ab, überraschenderweise gerade in Multitasking-Aufgaben. Mittlerweile zeigt sich aber, dass dieser Effekt nicht gut replizierbar und der Zusammenhang viel schwächer als angenommen ist. Das Gehirn ist einfach nicht für Multitasking gemacht, sondern man wechselt seine kognitiven Ressourcen einfach nur sehr schnell hin und her. Das ist unökonomisch, aber nicht schädlich für den Geist (wie die Autoren behaupteten).
Wir erleben viele produktive Anwendungen der Technologien. Bei allen Vorteilen der Digitalisierung gibt es dennoch Gründe, gelegentlich auch auf Block und Stift zurückzugreifen – zum Beispiel um sich in der Vorlesung Notizen zu machen. Zum einen bietet unsere heutige Welt mit den ganzen digitalen Endgeräten, die wir mit uns herumschleppen, viele Gelegenheiten zur Ablenkung. Außerdem fällt es leichter sich zu erinnern, wenn man das Gehörte in eigene Worte fasst, anstatt wörtlich mitzutippen.“
Prof. Dr. Niko Busch, Professur für Allgemeine Psychologie an der Universität Münster