„Halbleiter dominieren weite Bereiche unseres täglichen Lebens“
Mehr als 130 Physikerinnen und Physiker aus 23 Ländern kommen vom 14. bis 18. August in Münster zusammen, um über Fragen der modernen Halbleiterphysik und Anwendungen in Elektronik, Optoelektronik und Quantentechnologien zu diskutieren. Das Institut für Festkörpertheorie und das Physikalische Institut des Fachbereichs Physik der Universität Münster richten die „22nd International Conference on Electron Dynamics in Semiconductors, Optoelectronics and Nanostructures (EDISON 22)“ aus und holen sie damit nach Berlin 1997 zum zweiten Mal nach Deutschland. Kathrin Kottke sprach mit dem Konferenzvorsitzenden Prof. Dr. Tilmann Kuhn vom Institut für Festkörpertheorie über aktuelle Entwicklungen, Trends und den besonderen Charakter der Tagung.
Die Konferenz fand erstmals 1973 in Modena, Italien, statt. Was macht sie so besonders, dass sie auch noch 50 Jahre später Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt anzieht?
Von Beginn an war die EDISON an der Schnittstelle zwischen physikalischer Grundlagenforschung und elektrotechnischer Anwendung angesiedelt. Dadurch war und ist die gesamte Breite der Fragen von den grundlegenden physikalischen Phänomenen bis hin zu elektronischen und optoelektronischen Bauelementen abgedeckt. Dies gilt auch für die diesjährige 22. Auflage der Tagung in Münster, bei der Forscherinnen und Forscher aus der theoretischen Physik, der experimentellen Physik, den Materialwissenschaften und der Elektrotechnik zusammenkommen, um ihre neuesten Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren.
Unter anderem geht es um Halbleiter. Was genau ist das und wozu sind sie wichtig?
Ein Halbleiter ist ein Material, in dem das elektrische Leitvermögen in weiten Grenzen variiert und kontrolliert werden kann – Silizium ist der wohl bekannteste Halbleiter. Darüber hinaus kann in Halbleitern elektrischer Strom in Licht und Licht in elektrischen Strom umgewandelt werden. Halbleiterbauelemente dominieren weite Bereiche unseres täglichen Lebens wie etwa die Computer- und Kommunikationstechnik. Die Erfindung des Transistors in den 1940er Jahren war die Grundlage für die rasante Entwicklung im Bereich der Datenverarbeitung – von den ersten Großrechnern der 1950er Jahre bis hin zu den enorm leistungsfähigen Prozessoren in heutigen PCs, Tablets und Smartphones.
Was hat diesen Prozess ermöglicht?
Die kontinuierliche Verkleinerung der Transistorstrukturen und die damit verbundene Erhöhung der Zahl der Transistoren auf einem Chip haben zum einen zu dieser Leistungssteigerung geführt und zum anderen die Rechenleistung auch immer kostengünstiger gemacht. In der Beleuchtungstechnik haben Leuchtdioden aus Halbleitermaterialien die früheren Glühlampen fast vollständig ersetzt und zu einer immensen Steigerung der Effizienz und damit zur Energieeinsparung geführt.
In welchen Bereichen wendet man die Halbleitertechnik noch an?
Halbleiterlaser sind in vielen Bereichen im Einsatz: von der optischen Nachrichtenübertragung über Glasfasern, optischen Speichern wie DVD und Blue-Ray Laufwerken, Laserpointern bis hin zur Gas-Sensorik. Solarzellen bilden schließlich die Grundlage für Photovoltaikanlagen – somit nehmen Halbleiter auch in der Nutzung erneuerbarer Energien und der Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Energiegewinnung eine wichtige Funktion ein.
Dabei hat die Forschung eine Schlüsselrolle, oder?
Genau. Voraussetzung für die Entwicklung der Halbleitertechnologie war und ist das physikalische Verständnis der elektronischen und optischen Prozesse, verbunden mit dem Fortschritt bei der Herstellung immer kleinerer und komplexerer Nanostrukturen und Bauelemente.
Welche Themen stehen dieses Jahr im Zentrum der Tagung?
Wir diskutieren über hochaktuelle Themen, beispielsweise neueste Forschungen zu Solarzellen der nächsten Generation. Einen Schwerpunkt bilden die modernen sogenannten atomar dünnen Halbleiter, in denen die Miniaturisierung in der Schichtdicke die ultimative Grenze von einer oder einigen wenigen Atomlagen erreicht. Diese Materialien haben für verschiedenste Anwendungen im Bereich der Elektronik und Optik – beispielsweise als Transistoren oder Lichtquellen – äußerst vielversprechende physikalische Eigenschaften, und sie werden deshalb weltweit intensiv untersucht. Noch ein Beispiel: Der Einsatz von Halbleitermaterialien und Halbleiter-Nanostrukturen im Bereich der Quantentechnologien. Bei der Tagung diskutieren wir verschiedene halbleiterbasierte Realisierungen zur Quanten-Informationsverarbeitung und -Informationsübertragung. Ausgewiesene Experten präsentieren neue Techniken zur Umwandlung von elektronischen in optische Anregungen und umgekehrt, mit denen beispielsweise Quantenspeicher in Halbleitern über den Austausch einzelner Photonen miteinander kommunizieren können.
Hat die Tagung Anknüpfungspunkte an Forschungsaktivitäten im Fachbereich Physik der Universität Münster?
Definitiv! Insbesondere zu Themen aus der Nanophysik, der Quantentechnologie und den Materialwissenschaften – es sind eine ganze Reihe unserer Arbeitsgruppen mit ihren Forschungsergebnissen vertreten. Mit ihrer breiten Ausrichtung von der physikalischen Grundlagenforschung bis hin zu Anwendungen in elektronischen, optischen und quantentechnologischen Bauelementen hat die Tagung einen engen Bezug zum Forschungsprofil der Universität Münster: zur impact area „Conceptual Foundations & Emerging Technologies“ und hier speziell zur profile area (Forschungsschwerpunkt) „Nanosciences“ und zum emerging field „Quantum Science, Education and Technology“.
Infos zur EDISON-Tagung
Die Tagung bringt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ländern wie Australien, Japan, Israel, vielen europäischen Ländern, den USA und Chile zum Austausch ihrer Forschungsergebnisse und zur Diskussion aktueller Entwicklungen zusammen. Die letzten beiden Tagungen der Reihe fanden 2019 in Nara, Japan, und 2017 in Buffalo, USA, statt. Die diesjährige Tagung ist nach 1997 in Berlin erst die zweite, die in Deutschland stattfindet. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Tagungsreihe sind die Professoren Carlo Jacoboni und Lino Reggiani, zwei Mitorganisatoren der ersten Tagung 1973 in Modena, in Münster anwesend und erhalten eine besondere Würdigung.