Das Geomuseum: Eine Schatzkammer der Superlative
Zwölf Stufen heruntergehen und dabei 200 Millionen Jahre durchlaufen, in rund einer Stunde die 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall erleben, in einem einzigen Raum zwei Milliarden Jahre Erdgeschichte anhand von 700 Original-Exponaten nachvollziehen – das neue Geomuseum der Universität Münster ist ein Museum der zeitgeschichtlichen Superlative. Mit der Eröffnung am 10. August ist das münstersche Museumsquartier rund um die Pferdegasse vollständig. Dazu zählen neben dem LWL-Museum für Kunst und Kultur das Bibelmuseum und das Archäologische Museum der Universität. Das Team des Geomuseums gab der Redaktion der wissen|leben vorab die Gelegenheit zu einem ausführlichen Rundgang.
Wer zur Eingangstür hineinkommt, blickt unweigerlich auf einen gewaltigen Mammut-Schädel, der über der gegenüberliegenden Tür hängt. Ein „taktiler Grundriss“, der schräg darunter im Foyer angebracht ist und der auch seheingeschränkten oder blinden Menschen einen Überblick verschafft, gibt die Form des Museums wieder – die Ausstellung ist in den beiden Flügeln und auf zwei Etagen untergebracht. Grob gesagt, ist die Schau zweigeteilt: Im ersten Teil tastet man sich aus dem Weltraum in mehreren thematischen Schritten auf die Erde vor. Im zweiten Teil erfahren die Besucher im Detail, wie es auf der Erde, speziell in Westfalen, aussah beziehungsweise aussieht. Und das mithilfe von rund 2.300 Exponaten, vorrangig Gesteine, Minerale und Fossilien, die einem Hinweise zufolge auf 1.800 Quadratmetern Ausstellungsfläche „wie ein Buch eine spannende Geschichte von Vulkanausbrüchen, Meteoriteneinschlägen und von Änderungen des Klimas“ erzählen.
Die Ausstellung ist in 14 Themenbereiche gegliedert. Los geht’s im Weltraum-Raum, der mit Spiegeln und schwarzen Vorhängen ausgestattet ist, die fast jedes Geräusch schlucken – so stellt man sich die Atmosphäre im All vor. In der Mitte stehen fünf runde Vitrinen, die unter anderem Erläuterungen zu Asteroiden und zum Wasserstoff bieten, der sich als eines der ersten chemischen Elemente nach dem Urknall bildete. Einige Schritte weiter hängt vor der Wendeltreppe, die zum ersten Stock hinaufführt, eine mächtige Erdkugel an der Decke, auf der zum einen die tektonischen Platten und zum anderen die Kontinente aufgezeichnet sind – die Sparkasse Münsterland Ost hat die Förderung für dieses Exponat übernommen.
Im Obergeschoss angekommen, dringt man gewissermaßen ins Innere der Erde ein. In einer lang gezogenen Vitrine, an der man entlanggehen, aber auch über mehrere Stufen erklimmen kann, erfährt man, wie die Plattentektonik funktioniert, dass die Kontinente etwa so schnell wie unsere Fingernägel wachsen und dass der Motor für diese Bewegung im glühend heißen Erdinneren liegt. Apropos: Im Inneren der Vitrine ist eine „Schatzkammer“ mit mehreren Dutzend Original-Mineralen zu besichtigen.
Und dann dieser „Hingucker“: eine 17 Meter lange und vier Meter hohe Wand, auf der die „Strunzsche Mineralsystematik“, benannt nach dem 2006 verstorbenen Mineralogen Heinz Strunz, hinter Glas zu bewundern ist. Jedes der rund 5.700 akkreditierten Minerale wird auf einer kleinen, rechteckigen Platte inklusive Klassifizierung vorgestellt – beispielsweise Latrappit 04.CC.30 oder Freudenbergit 04.CC.10. Die Namen ergaben sich meist durch den Fundort, die Farbe oder den Finder. An vielen Stellen funkelt und blinkt es an der Wand – 600 Minerale sind Teil der Museumssammlung und auf der passenden Platte befestigt. Eine einzigartige Übersicht!
Wer sich jetzt kurz hinsetzen und entspannen möchte, ist im nächsten Raum, dem „Geokino“, genau richtig. Die Universität hat den „Uralt-Hörsaal“ mit seinen acht Reihen und 64 Plätzen, in dem schon vor Jahrzehnten Mineralogie- und Philosophie-Vorlesungen stattfanden, mit der Original-Bestuhlung herrichten lassen. Zu jeder halben Stunde laufen hier vier Kurzfilme zur Erdgeschichte aus thematisch vier unterschiedlichen Perspektiven.
Wer sich im danebenliegenden Raum zur „Geschichte der Erde“ einmal 360 Grad im Kreis dreht, hat zwei Milliarden Jahre hinter sich gebracht. Man kann sich dafür natürlich auch mehr Zeit nehmen und diesen Zeitsprung in den Vitrinen anhand von rund 700 Exponaten nachvollziehen, zu denen beispielsweise Kopffüßer, Dino-Eier, Ammoniten und der Eckzahn eines Ur-Raubtiers zählen. Für jedes einzelne Ausstellungsstück musste ein passender Halter, Stift oder ein Plättchen angefertigt werden, das zur Größe und zum Gewicht passt.
Spätestens jetzt wird klar, wie gut das Museum zur Universität und zur Stadt passt: als Ort des Wissenstransfers aus der Hochschule in die Bevölkerung hinein und gleichzeitig als anschaulicher Lernort für die Studierenden, denn die Ausstellung repräsentiert nahezu deckungsgleich die Lehrinhalte der verschiedenen Institute.
Über zwölf Stufen gelangt man hinunter in die Kreidezeit, die man entlang einer langen Glasvitrine durchläuft, deren Boden die verschiedenen Zeitabschnitte dieser Periode zeigt – bis hin zum „Maastrichtium“ vor rund 66 Millionen Jahren. In der Vitrine sind große und kleine Fische ausgestellt, die seinerzeit durch das bis zu 400 Meter tiefe Meer schwammen, das das gesamte Münsterland bedeckte.
Einige Meter weiter wird’s kühl. Das Treppengeländer ist mit schneeweißen Platten bedeckt, willkommen in der Eiszeit! Am Ende der Treppe stehen die Besucher vor dem mächtigen Ahlener Mammut und damit im 13. Themenbereich, der Steppe. Im Jahr 1910 entdeckten Arbeiter das mächtige, 5,20 Meter lange und 3,30 Meter hohe Wahrzeichen des Geomuseums in einer Ahlener Tongrube. Von den sieben Mammuten, die man jemals in Deutschland fand, sind noch fünf erhalten. Das aus 200 Einzelteilen bestehende Ahlener Mammut ist das am zweitbesten erhaltene Exemplar. Experten schätzen sein Alter auf rund 43.000 Jahre. Wer künftig vom Domplatz aus auf das Geomuseum zuläuft, hat durch ein eigens dafür eingebautes Spezialfenster einen spektakulären Blick auf das Urzeit-Tier, das nachts angestrahlt wird.
Im letzten Themenraum „Wald und Moor“ ist man zwar auch satte 11.000 Jahre von heute entfernt. Man fühlt sich inmitten der echten Baumstämme und der grünen Stoffbahnen unter der Decke, die ein Naturgefühl vermitteln, gleichwohl in einer vertrauten Umgebung angekommen. Links stehen mehrere Rotbuchen – diese Baumart kehrte mit der Erwärmung als letzte vor etwa 6.000 Jahren zurück. Vor den rund drei Metern hohen Bäumen läuft auf einem großen Bildschirm ein Waldfilm. Schöne Bilder, Vogelgezwitscher – ein im wahrsten Sinne des Wortes wohltuender Abschluss.
Das Museum:
Im Jahr 1824 wurde in Münster ein „museum mineralogicum et zoologicum“ gegründet, das 1880 in die Landsbergsche Kurie einzog. 1919 folgte die Gründung eines Mineralogischen Museums – der Zusammenschluss der beiden eigenständigen Sammlungen zum Geomuseum erfolgte 2007. Seitdem ist das Museum für die Neukonzeption geschlossen. Träger des Geomuseums sind das Institut für Geologie und Paläontologie, das Institut für Mineralogie sowie das Institut für Planetologie der Universität Münster.
Das Gebäude:
Ein neues Pflaster, ein tonnenschwerer Findling aus Skandinavien vor dem Haupteingang, ein neues Eingangstor – allein der Blick von der Pferdegasse auf das in der Landsbergschen Kurie beheimatete Geomuseum macht Eindruck. Der Guts- und Domherr Franz Kaspar Ferdinand von Landsberg zu Erwitte ließ das Adelspalais von 1702 bis 1707 errichten, Bauexperten zufolge hat es „die für Münster so typische Form der streng symmetrischen dreiflügeligen Anlage mit Ehrenhof“. Im sogenannten Zentralbau war die Wohnung des Hausherrn mit Schlaf-, Arbeits-, Umkleide- und Speiseraum untergebracht, in den Seitenflügeln lebten die Bediensteten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer zerstört, konnte aber wiederaufgebaut werden.
Die Eröffnung:
Das Geomuseum an der Pferdegasse 3 wird am 10. August (Donnerstag) erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Nach der Eröffnung ist es jeweils dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Autor: Norbert Robers
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 12. Juli 2023.