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Das Hauptgebäude der Nationaluniversität im westukrainischen Czernowitz. Gegründet wurde die Hochschule im Jahr 1875.<address>© Foto: Oleksandr Malyon, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons</address>
Das Hauptgebäude der Nationaluniversität im westukrainischen Czernowitz. Gegründet wurde die Hochschule im Jahr 1875.
© Foto: Oleksandr Malyon, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Mehr als ein Akt der Solidarität

WWU schließt Abkommen mit ukrainischer Hochschule aus Czernowitz

Die Menschen an ukrainischen Hochschulen beschäftigen derzeit grundlegende und weitaus wichtigere Themen als Wissenschaft, Studium und Austausch. Jedoch liegt in der Hoffnung auf das Ende des Angriffskriegs auch der Wunsch, die Zukunft zu gestalten. Die Universität Münster intensiviert ihre Zusammenarbeit mit der ukrainischen Jurij-Fedkowytsch-Nationaluniversität in Czernowitz – ein „Memorandum of Understanding“ wurde bereits unterzeichnet. Prof. Dr. Irina Wutsdorff, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Slavistik an der WWU, möchte dies auch als „Akt der Solidarität“ verstanden wissen. Als neue Institutsdirektorin führt sie nicht nur bestehende Kooperationen mit polnischen und baltischen Hochschulen fort, sondern schließt auch neue Partnerschaften in Tschechien und eben der Ukraine ab. „Der Krieg spielte dabei eine wesentliche Rolle, wir möchten ein Zeichen setzen“, betont sie. Dieser Umstand ist aber längst nicht der einzige Grund. „Wir hätten diese Partnerschaft auch ohne den Krieg ausgeweitet“, erklärt Dr. Anke Kohl, Leiterin des International Office der WWU. „Es gab schon länger Kontakte anderer Fachbereiche und nun ein zusätzliches Interesse aus der Slawistik.“ Die Anbahnung und Umsetzung dieses gemeinsamen Abkommens laufe wie bei anderen Kooperationen. Dennoch sei es gerade jetzt von besonderer Bedeutung, „den akademischen Kontakt nicht abreißen zu lassen, sondern zu fördern“, ergänzt sie. Im International Office in Czernowitz stieß dies auf Gegenliebe: „Wir haben uns sehr über das Interesse der WWU gefreut“, betont Oxana Matiychuk, die zudem im Kultur- und Wissenschaftszentrum „Gedankendach“ tätig ist. Es gebe viele Überschneidungspunkte, aber auch Forschungsfelder, die durch den Krieg ins Blickfeld rücken, wie etwa die Konflikt-, Migrations- und Identitätsforschung sowie das Thema Umwelt.

Das Institut für Slavistik an der WWU befindet sich im Wiederaufbau – ein neuer Slawistik-Bachelor-Studiengang startet zum Wintersemester. Daher hofft Irina Wutsdorff, die sich für die Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine und für Hilfen in die Ukraine einsetzt, dass Studierende von der Partnerschaft profitieren. „Die Möglichkeit – nach einem hoffentlich baldigen Kriegsende – in Czernowitz Auslandserfahrungen zu sammeln und dort einen Teil der Studienzeit zu verbringen, wird für die Studierenden einen großen Mehrwert darstellen.“ Neben dem Austausch von Studierenden nimmt die Forschung eine zentrale Rolle ein. Nicht nur in der Slawistik schätzt man die Forschungsaktivitäten der Uni Czernowitz, auch mit der ost- und ostmitteleuropäischen Geschichte und Judaistik gibt es Anknüpfungspunkte. „Die Nationaluniversität ist sehr engagiert in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Vergangenheit der Region Bukowina“, weiß Irina Wutsdorff. Überhaupt sei die Ukraine in Geschichte und Gegenwart ein Forschungsgegenstand, der die Anwendung und Weiterentwicklung zeitgemäßer Methoden geradezu herausfordere. „Sie ist sprachlich, literarisch, kulturell und historisch von Vielfalt geprägt. Dies betrifft nicht nur das Ukrainische und Russische, sondern auch historische Verflechtungen mit dem Polnischen, mit deutsch- und jiddischsprachiger Kultur. Ukrainistik ist viel mehr als eine klassische Nationalphilologie einer spät gebildeten Nation. Es ist ein exemplarisches Studiengebiet für eine an transnationalen, interkulturellen, verflechtungsgeschichtlichen Phänomenen interessierte Geistes- und Sozialwissenschaft.“ Für Irina Wutsdorff ist die Forschung ebenso eine Herzensangelegenheit wie der Aufruf, die Hilfen für die Ukraine aufrechtzuerhalten: „Spenden sind weiter bitter nötig – zum Beispiel an die Bukowinahilfe des Zentrums Gedankendach.“

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 3. Mai 2023.

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