„Dieses Ausmaß der Gewalt überrascht mich“
Im Sudan kämpfen seit dem 15. April die sudanesischen Streitkräfte und die paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces um die Macht. Dabei sind bislang Hunderte Menschen getötet und mehrere Tausend verletzt worden. Der von den USA vermittelte Waffenstillstand hält nach Auffassung der Vereinten Nationen bislang „in einigen Teilen“. Seit 2009 ist WWU-Archäologin Prof. Dr. Angelika Lohwasser mit einem Feldforschungsprojekt im nördlichen Sudan in der Nähe von Merawi tätig. Zuletzt waren ihr Team und sie im Februar für rund zwei Monate vor Ort. Alle Beschäftigten der Universität Münster waren rechtzeitig vor dem Ausbruch der Kämpfe wieder zurück in Deutschland. Im Gespräch mit Kathrin Nolte berichtet Angelika Lohwasser über die Folgen des Konflikts für ihre Forschungsarbeit und die Sorgen um die Kolleginnen und Kollegen vor Ort.
Überraschen Sie die Kämpfe der Armee und Paramilitärs um die Macht im Sudan?
Spannungen zwischen den beiden Generälen Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo gab es schon seit einiger Zeit. Diese waren aber eher ein Säbelrasseln, und das war man im Sudan gewohnt. Auch die militärische Präsenz war nicht deutlich sichtbar erhöht – dass Militärfahrzeuge auf den Straßen zu sehen sind, ist nicht ungewöhnlich. Dass es so plötzlich, noch dazu mitten im islamischen Fastenmonat Ramadan zu einem so heftigen Ausbruch gekommen ist, konnten sicher nur die wenigsten vorhersehen. Natürlich war es klar, dass keiner der beiden freiwillig die Macht abgeben will, doch dieses Ausmaß der Gewalt überrascht mich und auch alle anderen, mit denen ich gesprochen habe.
Glücklicherweise haben Ihr Team und Sie den Sudan vor dem Ausbruch der Kämpfe verlassen und mussten nicht von der Bundeswehr ausgeflogen werden. Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf Ihre Forschungsarbeit?
Wir sind gerade rechtzeitig zurückgekommen, zwei meiner Mitarbeiter tatsächlich in der Nacht vor dem Ausbruch. Sie hatten sich zuletzt noch um die Luftfracht gekümmert, Material, das zu Analysezwecken ausgeführt werden soll. Das steht jetzt auf der Rampe vor dem Antikendienst … Sämtliche Funde sind in einem Magazin in unserem Grabungshaus. Kurzfristig können wir also nur mit dem arbeiten, was wir dokumentiert haben. Aber natürlich hoffen wir sehr, dass wir in absehbarer Zukunft wieder in das Land können.
Bei den Ausgrabungen werden Sie bei allen administrativen Angelegenheiten vor Ort, wie der Kommunikation mit den Arbeitern und der Vorbereitung der bürokratischen Schritte bei Ausfuhren, von einem sudanesischen Inspektor des Antikendienstes unterstützt. Wie geht es Ihren Kollegen vor Ort?
Ich versuche so gut wie möglich Kontakt zu halten. Doch Internet und Strom werden immer wieder abgeschaltet. Mein engster Mitarbeiter lebt in einem heftig umkämpften Stadtviertel, da bin ich über jedes Lebenszeichen froh. Ich hoffe, er kann in der Feuerpause mit seiner Familie – er ist verheiratet und hat drei kleine Kinder – zur Verwandtschaft außerhalb der Hauptstadt Khartum fliehen. Zu einem anderen Kollegen hatte ich zunächst regelmäßigen Kontakt, seit drei Tagen aber gar nicht mehr, das macht mir Sorgen. Wir Archäologinnen und Archäologen verständigen uns gegenseitig, wenn wir etwas erfahren.
Wie wird es mit den Grabungen im Sudan weitergehen?
Für mich ist es immer noch unbegreiflich, dass der ,Brandherd‘ in Merawi war, eine Provinzstadt, durch die wir täglich zweimal zu unserem Grabungsort gefahren sind. Soweit ich weiß, hat sich die Lage dort wieder beruhigt. Doch natürlich fragt man sich, wie es weitergehen soll. Es ist derzeit nicht einzuschätzen, wann die Situation so ist, dass internationale Ausgrabungen wieder stattfinden können. Offen ist auch, ob es Raubgräberei gibt oder geben wird. Von Kollegen weiß ich, dass bis jetzt die antiken Stätten nicht betroffen sind, und das lässt hoffen.