|
Münster (upm/kn).
Das Bild „Arbeiter vor dem Magistrat“ von Johann Peter Hasenclever aus dem Jahr 1848 zeigt eine Arbeiterdelegation, die den Stadtrat mit ihren Forderungen konfrontiert. Das Gemälde ist angelehnt an die Ereignisse in Düsseldorf, aber bewusst anonym gehalten. Es spiegelt so die revolutionären Ereignisse in den Städten Westdeutschlands wider, wie sie sich auch in Westfalen ereigneten.<address>© LWL - Ahlbrand-Dornseif</address>
Das Bild „Arbeiter vor dem Magistrat“ von Johann Peter Hasenclever aus dem Jahr 1848 zeigt eine Arbeiterdelegation, die den Stadtrat mit ihren Forderungen konfrontiert. Das Gemälde ist angelehnt an die Ereignisse in Düsseldorf, aber bewusst anonym gehalten. Es spiegelt so die revolutionären Ereignisse in den Städten Westdeutschlands wider, wie sie sich auch in Westfalen ereigneten.
© LWL - Ahlbrand-Dornseif

„Demokratie muss gepflegt, verteidigt und weiterentwickelt werden“

Vor 175 Jahren: Historiker Felix Gräfenberg über die Märzrevolution von 1848 und deren Bedeutung für das heutige Staatsverständnis

Die Aufstände und Kämpfe sowie die darauffolgenden Entwicklungen in den Jahren 1848/49 sind ein zentraler Meilenstein für die deutsche Demokratiegeschichte. Die Revolution war die erste europaweite Bewegung für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Im Gespräch mit Kathrin Nolte beschreibt Dr. Felix Gräfenberg, assoziierter Wissenschaftler am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der WWU, die Auswirkungen der Proteste auf unsere heutige politische Kultur und die damaligen Ereignisse in der Region.

Vor 175 Jahren begann am 18. März 1848 mit Barrikadenkämpfen in Berlin die Revolution in Deutschland. Das klingt sehr weit weg. Ist der Jahrestag für unser heutiges Demokratieverständnis dennoch von Bedeutung?

Die Aufstände und Unruhen, die sich im März 1848 Bahn brachen, zwangen die Monarchen zu weitreichenden Zugeständnissen – darunter Wahlen, Pressefreiheit und Verfassungen. Zwar sind viele der Errungenschaften in den Jahren der Reaktion zunächst wieder kassiert worden. Dennoch prägt die Idee von damals noch heute unsere Vorstellung von Demokratie. Parlamente und Parteien etwa sind für uns Selbstverständlichkeiten im politischen Betrieb. Dabei ist die damit verbundene Art und Weise Politik zu machen, historisch voraussetzungsvoll. Als die Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, dem ersten gesamtdeutschen Parlament, im Mai 1848 zusammentrafen, gab es weder Parteien noch Fraktionen. Beides sind politische Praktiken, die in den folgenden Monaten geformt und erlernt wurden – und bis heute unsere politische Kultur prägen.

Natürlich erinnert man sich vorrangig an die Ereignisse in Berlin. Gab es auch in Münster und Umgebung Proteste?

Dr. Felix Gräfenberg<address>© LWL - Burkhard Beyer</address>
Dr. Felix Gräfenberg
© LWL - Burkhard Beyer
Ja. Es ist spannend zu sehen, dass es überall Proteste, Aufstände und Unruhen gab – und nicht nur in den großen Zentren wie Berlin, Frankfurt und Wien. Die Revolution war auch ein Ereignis in der westfälischen Peripherie: In Dülmen etwa stürmten Aufrührer das Schloss Croÿ, im Märkischen zerstörten wütende Arbeiter Maschinen, in Bocholt dauerten die Ausschreitungen mehrere Tage an und konnten erst vom Militär beendet werden. In den größeren Städten wie Münster formierten sich politische Vereine als Vorgänger moderner Parteien.

Was prägte die Aufstände in unserer Region?

Die Ursachen für die Aufstände waren sicherlich überall in der Region ähnlich gelagert: Die Lage war geprägt von verschleppten Reformen und fehlende Antworten auf die voranschreitende Industrialisierung. Missernten taten ihr Übriges. Städtische und ländliche Unterschichten lebten Mitte der 1840er-Jahre in existenzieller Not. Abgesehen davon lässt sich das Geschehen aber nicht pauschal auf eine Formel runterbrechen. Dafür waren die Ereignisse und Entwicklungen zu heterogen; die Revolution auch in der Region zu vielschichtig – und auch zu widersprüchlich. Dies liegt nicht zuletzt an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, die wir in Westfalen beobachten können. Ländliche, kleinstädtische und großstädtische Proteste hatten ihre jeweils eigene Logik. Gleiches gilt für agrarisch und frühindustriell geprägte Regionen ebenso wie für katholische und protestantische Gegenden.

Kommen wir aus der Vergangenheit in die Gegenwart: Häufig wird heute davon gesprochen, dass sich in vielen Teilen der Welt Demokratien in einer Krise befinden. Wie kann der Demokratie-Müdigkeit aus historischer Perspektive begegnet werden?

Der Blick in die Geschichte gibt uns eine Idee von der Historizität unserer heutigen Demokratie. Demokratie wird häufig als etwas sehr Starres verstanden. Dabei unterliegt Demokratie einem ständigen Wandlungsprozess. Was wir als demokratisch verstehen, wird immer wieder aufs Neue ausgehandelt.

Zum Beispiel?

Nehmen wir das Frauenwahlrecht oder die republikanische Verfasstheit der Bundesrepublik: Beide sind heute konstitutive Elemente unseres Demokratieverständnisses, waren aber 1848/49 selbst für die demokratischen Vorkämpferinnen und -kämpfer weitgehend undenkbar – von den konservativen Kräften ganz zu schweigen. Auch in ihrer jetzigen Form ist Demokratie eben nicht gottgegeben und starr, sondern muss gepflegt, verteidigt, weiterentwickelt werden. Historische Beispiele können angesichts des Gefühls der Ohnmacht helfen, zu begreifen, dass individuelles Handeln durchaus den Unterschied machen kann. Auch 1848/49 sahen sich die Menschen zahlreichen Krisen ausgesetzt. Im Blick auf die unterschiedlichen Akteure von damals offenbaren sich Möglichkeiten und Grenzen individueller Handlungsmacht.

 

Hintergrund
Felix Gräfenberg leitet das Projekt „Akteurinnen und Akteure der Revolution 1848/49“, das die Ereignisse in Westfalen und Lippe in den Blick nimmt. Anhand von rund 50 Biografien zu Akteurinnen und Akteure zeichnen die 30 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein vielschichtiges Bild der Revolution in der Region. Das Projekt wird von der Historischen Kommission für Westfalen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe durchgeführt.

Links zu dieser Meldung