Mit organischer Chemie gesellschaftliche Probleme lösen
Fragt man Prof. Dr. Ryan Gilmour nach der Motivation, die ihn bei seiner Arbeit antreibt, wird klar: Er hat eine Passion für sein Fach, die organische Chemie. „Ich liebe Moleküle“, bringt er es auf den Punkt. „Sie sind ästhetisch. Ein Chemiker kann Moleküle genießen wie eine Skulptur.“ Besonders spannend findet Ryan Gilmour das Zusammenspiel von Struktur und Eigenschaften der Moleküle – durch „molekulares Design“ erzeugen er und sein Team Moleküle mit definierten Eigenschaften.
Ryan Gilmour hat einen Lehrstuhl für organische Chemie und ist Professor für chemische Biologie am Cells in Motion Interfaculty Centre (CiM) der WWU. Was er in der Forschung nicht mag, sind ausgetretene Pfade. „Wenn man etwas Neues beginnt, winken keine schnellen Erfolge. Diese Herausforderung suche ich.“ Eine von ihm und seiner Gruppe entwickelte Methode ermöglicht es, wichtige zweidimensionale Moleküle umweltschonend herzustellen, beispielsweise Vitamine, medizinische Wirkstoffe und passgenaue „Tracer“ für die nicht-invasive medizinische Bildgebung. Die Technologie wird inzwischen unter anderem industriell eingesetzt, um die Herstellung von Vitamin A zu verbessern, und sie optimiert die Diagnose bakterieller Infektionen.
Eine Inspiration für Ryan Gilmour ist die Natur. Wie Pflanzen bei der Photosynthese nutzt er sogenannte Antennenmoleküle, die Lichtenergie einfangen und auf die Zielmoleküle übertragen. Lichtenergie wird bei dieser Energietransfer-Katalyse in chemische Energie umgewandelt und treibt die Reaktion an – ein besonders umweltschonendes Verfahren. Im Jahr 2020 veröffentlichten Ryan Gilmour und sein Team in der Fachzeitschrift „Science“ eine bahnbrechende Arbeit, in der sie die neue Methode vorstellten.
Der Transfer von Grundlagenforschung in die klinische Praxis ist für Ryan Gilmour besonders reizvoll. Mit dem WWU-Mediziner Prof. Dr. Michael Schäfers kooperiert er beispielsweise auf dem Gebiet der medizinischen Bildgebung. Gemeinsam mit seinem Chemiker-Kollegen Prof. Dr. Peter Seeberger (Freie Universität Berlin und Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam) entwickelt er einen Impfstoff gegen Meningitis.
„Die organische Chemie war nie wichtiger als heute“, ist Ryan Gilmour überzeugt. „Kleine organische Moleküle werden zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme beitragen. Dazu gehören Resistenzen von Schädlingen gegen Pflanzenschutzmittel und die Energiespeicherung.“ Er ergänzt: „Wir sehen derzeit eine Welle an Infektionskrankheiten, außerdem zunehmende Antibiotikaresistenzen. Ich möchte mithelfen, solche Probleme zu lösen. Aber das kann die Chemie nicht allein, es muss ein kollektiver Ansatz sein. Das CiM, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete vernetzt, ist daher für mich und meine Arbeit eine wundervolle Einrichtung an der WWU.“
Ryan Gilmour ist im Südwesten von Schottland aufgewachsen – in der Grafschaft Ayrshire, der Heimat des schottischen Dichters Robert Burns. Das passt: Denn Ryan Gilmour liebt nicht nur die Schönheit der Moleküle, sondern auch gute Bücher. „Ich bin ein riesiger Fan von Literatur.“
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 2. Februar 2023.