Journalismus versagt in der Corona-Krise nicht
Die klassischen Medienhäuser reagierten in den ersten drei Monaten seit Ausbruch des Coronavirus‘ mit einer differenzierten Berichterstattung auf die Pandemie, die von keiner systematischen Dramatisierung geprägt war. Zu diesem zentralen Ergebnis kommen Kommunikationswissenschaftlerinnen und Kommunikationswissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) in einer aktuellen Studie. Das vierköpfige Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Quandt untersuchte mehr als 100.000 Posts, die von Anfang Januar bis zum 22. März über den Social-Media-Kanal „Facebook“ veröffentlicht worden waren. Davon befassten sich rund 18.000 Beiträge – die von 78 Nachrichtenmedien verbreitet wurden – inhaltlich mit der Lungenkrankheit Covid-19. Die Untersuchung ist online erschienen.
„In den ersten drei Monaten der Corona-Krise kam es zu keinem allgemeinen Systemversagen des Journalismus‘. Das heißt, dass wir in der Gesamtheit keine umfassenden Tendenzen zu unkritischer oder hysterischer Berichterstattung gefunden haben. Die von Kritikern geäußerten Vorwürfe, dass es eine überwiegende Negativberichterstattung oder einseitige Panikmache gegeben hätte, können wir durch unsere Analysen nicht bestätigen“, betont Thorsten Quandt. Die Thematisierung der Corona-Pandemie durch die klassischen Medien wie beispielsweise der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sei jedoch in verschiedenen Phasen verlaufen.
Im Januar war das Coronavirus noch kein relevantes Thema in den Medien. Mit den ersten Infektionen in Deutschland stieg die Zahl der Nachrichten ab Ende Februar leicht - vor allem gab es Berichte über Infektionsketten und die aktuellen Zahlen. Teilweise kam es dabei zum sogenannten „Horse-Race-Reporting“ – also eine Darstellung von Infektionszahlen und Verstorbenen wie bei einem Sportwettbewerb. Die schnelle Ausbreitung der Krankheit in Deutschlang sorgte ab Ende Februar für eine massive Zunahme der Berichterstattung und eine deutliche Ausweitung des Themenspektrums.
Wie in der unlängst veröffentlichten Studie über den Umgang der alternativen Medien mit der Corona-Pandemie – die sich als Gegenstimme und Korrektiv zu journalistischen Mainstream-Medien verstehen – stellten die Wissenschaftler in ihrer zweiten Analyse fest, dass sich auch die Berichterstattung in den klassischen Massenmedien auf politisches Spitzenpersonal wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundesgesundheitsminister Jens Spahn konzentrierte. „Im Vergleich zu den Veröffentlichungen in den alternativen Nachrichtenmedien war das Spektrum der gesellschaftlich relevanten Akteure jedoch viel breiter, und die Konzentration auf die politischen Eliten fiel insgesamt geringer aus“, erklärt Thorsten Quandt. „Das hängt damit zusammen, dass der Journalismus multiperspektivisch über Corona berichtete und dabei ebenfalls viele Themen aufgegriffen hat, die in den Alternativmedien kaum eine Rolle spielten – wie zum Beispiel Sport und Kultur.“
Auch Falschmeldungen (Fake News) und Verschwörungstheorien kamen in der Berichterstattung der klassischen Nachrichtenmedien vor – ebenso wie bei den Alternativmedien. Allerdings verzeichneten die Kommunikationswissenschaftler einen Unterschied: „Im Gegensatz zu den alternativen Medien wurden Fake News und Verschwörungstheorien als solche eingeordnet und nicht selbst verbreitet. Vielmehr entlarvten Journalisten zahlreiche in der Öffentlichkeit kursierende Gerüchte und Meldungen als falsche Behauptungen“, unterstreicht Thorsten Quandt.
Originalpublikation:
Quandt, T; Boberg, S.; Schatto-Eckrodt, T.; Frischlich, L. (2020). Pandemic News: Facebook Pages of Mainstream News Media and the Coronavirus Crisis – A Computational Content Analysis. ArXiv: 2005.13290 [Cs.SI],
https://arxiv.org/abs/2005.13290