Weltpolitik im Bunker
Die Vorsitzende des Weltsicherheitsrats tritt ans Rednerpult, um die Sitzung zu eröffnen. Vor ihr sitzen die Vertreter einiger Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – neben ihren Tischen stehen bunte Länderflaggen, die sich von den hohen grauen Betonwänden hinter ihnen abheben. Zunächst sieht es aus, als säßen die Delegierten in einer großen Garage. Die Zentrale des UN-Sicherheitsrats in New York ist es sicher nicht.
Aber es sind auch keine echten Politiker an den Tischen, sondern knapp 20 angehende Psychologinnen und Psychologen, die in einem von der WWU angemieteten Bunker eine Sitzung des Weltsicherheitsrats nachstellen, als Teil ihres Masterseminars „Verhandlungs- und Konfliktmanagement“. Inhaltlich ist die Simulation an den Zweiten Golfkrieg angelehnt, bei dem der Irak seinem Nachbarland Kuwait vorwarf, illegale Ölbohrungen auf irakischem Staatsgebiet vorzunehmen, und Kuwait besetzte.
Im Bunker ist es kalt, trotz des Sommerwetters draußen. Die Vertreter der Weiku berichten von einem Luftangriff, den ihre Nachbarn Raki gegen sie verübt haben. Die angeklagten Raki begründen ihre Tat. Die Studierenden sind voll in ihren Rollen, die ihnen schon vor Wochen zugeteilt wurden, viele von ihnen haben sich im Business-Look gekleidet. Ihre Blicke sind konzentriert, es hallt zwischen den dicken Mauern, wenn sie ihre Plädoyers in förmlicher Sprache vortragen.
Der Bunker, in dem sie sich befinden, steht mitten im heutigen Bioenergiepark Saerbeck – einst lagerte die Bundeswehr hier Munitionskisten. Einige der massiven Truhen stehen noch in der Ecke, beige angestrichen und mit der Aufschrift „Simulation Explosion“ bedruckt. Seminarleiter Klaus Harnack hat den Ort bewusst gewählt. In einem Gespräch mit der Arbeitsstelle Forschungstransfer der WWU hatte er von dem für Veranstaltungen zur Verfügung stehenden Bunker erfahren. „Mir geht es in erster Linie darum, den gewohnten Seminarraum zu verlassen und eine unserer praktischen Übungen außerhalb der Universität durchzuführen“, erklärt der Psychologe. Er zieht die schwere Stahlschiebetür des Bunkers unter lautem Getöse auf, damit neben den kalten Leuchtstoffröhren an der Decke auch etwas Tageslicht in die Halle dringen kann. „Erst innerhalb besonderer Situationen lernt man, wirklich zu verhandeln und kreativ zu sein“, ist er sich sicher.
Seine Kursteilnehmer, die Delegierten, haben den Bunker für eine Pause verlassen, um sich in bilateralen Gesprächen zu einigen, Allianzen zu bilden und gemeinsame Resolutionsvorschläge zu erarbeiten – genau wie beim Original in New York. In der Zwischenzeit stellen die Präsidentin und die UNO-Generalsekretärin alle bisherigen Plädoyers zusammen und besprechen die weitere Agenda. Vier Wochen lang haben sich alle Teilnehmer auf die Verhandlung vorbereitet. „Ich habe mir Videos der Konferenz angesehen und mich viel damit beschäftigt, wie der Sicherheitsrat tagt“, berichtet Nadine Arnholz, die heute Präsidentin ist. Wie all ihre Kommilitonen im Kurs hat sie in ihrem Masterstudium den Schwerpunkt „Personal- und Wirtschaftspsychologie“ gewählt und ist sich sicher, dass ihr die Übung im späteren Berufsleben hilfreich sein kann.
Nun nimmt sie den ersten Resolutionsvorschlag von Großbritannien und den USA entgegen – die beiden Länder fordern im Wesentlichen die Verurteilung des Luftangriffs. Um über die Forderungen abzustimmen, halten die Delegierten Karten hoch. Anders als in einer realen Verhandlung machen nur wenige Staaten von ihrem Veto-Recht Gebrauch – bis auf Russland, das tendenziell die rakische Seite unterstützt. Immer wieder fordern Delegierte Russland auf, bestimmte Geheimdienstunterlagen vorzulegen.
„Dass die Verhandlung an eine historische Begebenheit angelehnt ist, hat uns bei der Vorbereitung sehr geholfen“, sagt Julian Scharbert, der die USA vertritt und seine Rolle zeitweise sogar mit amerikanischem Akzent unterstreicht. Auch Laura Schlapper, die China repräsentiert, hat sich im Vorfeld intensiv in die Konfliktsituation eingearbeitet. Nun ist sie stark darauf bedacht, ihr Land als Weltmacht zu positionieren und die Beziehungen zu den bestehenden Handelspartnern nicht zu schwächen.
Nach sieben Stunden und mehreren Abstimmungsrunden verabschiedet der Weltsicherheitsrat eine gemeinsame Resolution mit neun Punkten: Die Streitkräfte beider Parteien werden darin aufgefordert, sich aus dem Kampfgebiet zurückzuziehen, Bodentruppen sollen unter der UN-Flagge in die Grenzregion marschieren. Die Echtheit des mittlerweile vorgelegten Geheimdienstdokuments – eine handgeschriebene DIN-A4-Seite – wird jedoch noch geprüft. Ergebnis offen.
Autorin: Svenja Ronge
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 5, 10. Juli 2019.