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Münster (upm)
Dr. Franziska Trapp forscht am Germanistischen Institut der WWU zum zeitgenössischen Zirkus. Für das Sommersemester hat sie eine „Artistic Residency“ ausgeschrieben. Die Ergebnisse werden am 14. Juni ab 19 Uhr in der Studiobühne präsentiert.<address>© WWU - MünsterView</address>
Dr. Franziska Trapp forscht am Germanistischen Institut der WWU zum zeitgenössischen Zirkus. Für das Sommersemester hat sie eine „Artistic Residency“ ausgeschrieben. Die Ergebnisse werden am 14. Juni ab 19 Uhr in der Studiobühne präsentiert.
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"Es lohnt sich, Grenzen zu überwinden"

Zirkuswissenschaftlerin Dr. Franziska Trapp und Chorleiter Mathias Staut über den Kultursemesterschwerpunkt

Für das Sommersemester 2019 hat die Zentrale Kustodie der WWU erstmals alle Kulturschaffenden aufgerufen, sich mit dem Schwerpunktthema „Grenzüberschreitungen“ auseinanderzusetzen. Im Interview mit Jana Schiller berichten Dr. Franziska Trapp, Zirkuswissenschaftlerin an der WWU, und Mathias Staut, Leiter des Oratorienchors der WWU, wie sie mit ihren Programmbeiträgen gleich mehrere Trennlinien überwinden.

Anlass des Leitthemas ist die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze vor 30 Jahren. Welche Rolle spielen Grenzen in Ihren Projekten zum Kultursemesterschwerpunkt?

Franziska Trapp: Die zentrale Grenze, die wir in unserem Projekt überschreiten, ist die zwischen Wissenschaft und Kunst. Im Seminar „Kulturpoetik als Dramaturgie“ bringe ich 30 Masterstudierende der Kulturpoetik mit einer künstlerischen Residenz zusammen, die gemeinsam ein noch nicht fertiges Stück weiterentwickeln. Als Germanist ist man oft damit beschäftigt, das „Endprodukt“ zu analysieren. Ich glaube aber, dass wir unser Wissen bereits im künstlerischen Kreationsprozess einsetzen können. Bei der Auswahl der Künstler für unser Projekt war uns wichtig, dass es einen inhaltlichen Bezug zum Leitthema gibt. Der „Tall Tales Company“ gelingt dies, indem Jongleure mit einem bildenden Künstler zusammenarbeiten und dadurch die Grenze zwischen unterschiedlichen Künsten überschreiten. Unsere Methodik dokumentieren wir in einem Film, um die Wissenschaft nachhaltig in die Praxis zurückzubringen. Mit einer Präsentation im Juni ermöglichen wir der Öffentlichkeit einen Einblick in unser Projekt.

Mathias Staut: Wir proben mit dem Oratorienchor das Stück „Gran Misa“ des Südamerikaners Martin Palmeri. Die Messe wird im Juni in New York mit einem Teil des Oratorienchors und weiteren Chören aus aller Welt uraufgeführt. Mit der Reise unserer Chorsänger in die USA überschreiten wir also geographische Grenzen. Ein paar Wochen später präsentieren wir das Stück bei den „AaSeerenaden“ in Münster. Dabei wird der Komponist höchstpersönlich am Klavier sitzen – eine zweite geographische Grenzüberschreitung. Doch auch mit der Musik überschreiten wir Grenzen: Das Genre Klassik trifft auf Tango, gleichzeitig treffen die Laien unseres Orchesters auf die Profimusiker im Orchester, das uns bei der Aufführung begleiten wird. Unser musikalisches Projekt zeigt, was gemeinschaftlich möglich ist. Es lohnt sich, Grenzen zu überwinden.

Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich aktuell mit Grenzen und Grenzüberschreitungen auseinanderzusetzen?

Mathias Staut ist seit 2017 Leiter des Oratorienchors der WWU. In Anwesenheit des argentinischen Komponisten Martin Palmeri wird der Chor bei den „AaSeerenaden“ am 6. Juli das Stück „Gran Misa“ aufführen. Beginn des Konzerts ist um 17.30 Uhr.<address>© WWU - MünsterView</address>
Mathias Staut ist seit 2017 Leiter des Oratorienchors der WWU. In Anwesenheit des argentinischen Komponisten Martin Palmeri wird der Chor bei den „AaSeerenaden“ am 6. Juli das Stück „Gran Misa“ aufführen. Beginn des Konzerts ist um 17.30 Uhr.
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Staut: Grenzen sollten abgebaut werden, dabei bauen sie sich politisch gerade auf. In meinem ersten Projekt mit dem Oratorienchor vor rund zwei Jahren haben wir uns beispielweise mit englischer Chormusik befasst. Damals hätten wir niemals gedacht, dass uns Großbritannien infolge des geplanten Brexit mal so fern sein könnte. Mein ehemaliger Gesangslehrer ist Engländer und bekommt die Auswirkungen zu spüren. Er möchte nicht mehr in Großbritannien leben, weil er dort als Künstler abgeschottet sein wird. Insofern ist das Thema des Kultursemesterschwerpunkts sehr brisant und wichtig.

Trapp: Es ist insbesondere Aufgabe der Wissenschaft, Grenzen zu überschreiten. Wissenschaftler sollten sich als Vorreiter für Grenzüberschreitung sehen. Die Zirkusforschung ist dafür insofern ein ideales Beispiel, als dass dieses Genre wissenschaftlich noch nicht umfassend analysiert wurde. So wird methodisch und theoretisch Neuland betreten. Darüber hinaus ist der Zirkus ein hyperbolisches Genre, in dem seit jeher kulturelle und gesellschaftliche Grenzen hinterfragt und überschritten werden. Wenn man sich wissenschaftlich mit dem Zirkus auseinandersetzt, findet man daher leicht Zugang zu Themen, die überall in der Gesellschaft extrem relevant sind wie zum Beispiel Fragen in Bezug auf Gender und Nationenvielfalt.

Grenzen überschreiten bedeutet auch, neue Wege zu gehen und zum Nachdenken anzuregen. Was möchten Sie den beteiligten Personen, Zuschauern und Zuhörern vermitteln?

Trapp: Für die Studierenden im Projekt ist es von Bedeutung zu sehen, wie die Theorien, die sie im Studium lernen, zurück in die Praxis finden. Für die Artisten ist der Austausch interessant, weil es wenig Forschung zum zeitgenössischen Zirkus gibt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrem Stück ist eine Wertschätzung des Genres und ermöglicht neue Blickwinkel. Aber vor allem geht es in unserem Projekt um den wechselseitigen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis, Kunst und Wissenschaft – das wird sehr spannend!

Staut: Ich möchte vor allem den Austausch zwischen alt und neu anregen. Als Oratorienchor haben wir uns der Tradition verpflichtet. Gleichzeitig ist mir jedoch die Musik zeitgenössischer Komponisten ein wichtiges Anliegen. Ich möchte den Chor und das Publikum ermutigen, stets offen für Neues zu sein. Stillstand fände ich in allen Künsten schlecht, auch wenn das Aufbrechen alter Strukturen durchaus mit viel Arbeit verbunden sein kann. Außerdem ist es wichtig, mit den Komponisten in Dialog zu treten und zu ergründen, was sie mit ihrem Stück sagen möchten. Und diese Botschaft zu transportieren und für neue Musik zu werben, das ist unser Ziel.

 

Das Programm zum Kultursemesterschwerpunkt

Kulturgruppen, Studierende und Mitarbeiter der WWU zeigen in ihren Beiträgen zum Kultursemesterschwerpunkt, wie vielfältig das Leitwort „Grenzüberschreitungen“ interpretiert werden kann. Das Veranstaltungsprogramm startet am 23. April mit der Vortragsreihe „Grenze – zwischen Verletzungen und Überschreitungen“. Am 6. Mai werden die Gewinner des Kurzgeschichtenwettbewerbs verkündet, zu dem das Kulturbüro aufgerufen hatte. Neben Lesungen und Ausstellungen finden im Laufe des Semesters auch zahlreiche Konzerte statt, die das Leitwort musikalisch aufgreifen. Weitere Informationen zu den Projekten des Kultursemesterschwerpunkts sowie das gesamte Programm finden sich im aktuellen „UniKunstKultur“-Magazin.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 2, 3. April 2019.

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