"Die Kirche liegt tief auf dem Boden - sie muss lernen, demütig zu sein"
Die 67 Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz treffen sich vom 11. bis 14. März im emsländischen Lingen zu ihrer traditionellen Frühjahrs-Vollversammlung. Die Bischöfe werden dabei nach dem Vatikan-Gipfel im Februar auch das Thema des sexuellen Missbrauchs in der Kirche erneut aufgreifen. Die Pressestelle der Universität hat im Vorfeld der Konferenz zwei Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) zu den Aussichten der Konferenz und zur Zukunft der Kirche befragt: Marianne Heimbach-Steins ist Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht.
Die Ergebnisse des sogenannten Missbrauchsgipfels im Vatikan und die Äußerungen von Papst Franziskus sind nicht nur bei vielen katholischen Laien schlecht angekommen. Auch Theologen äußerten ihre Skepsis hinsichtlich des Bekenntnisses des Papstes für eine neue Offenheit in der katholischen Kirche. Teilen Sie diese Skepsis?
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins: Ich sehe die Zusammenkunft im Vatikan vor allem unter dem Aspekt, dass auf weltkirchlicher Ebene das Thema sexueller Missbrauch zum allerersten Mal zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht wurde. Man kann kritisieren, dass das erst jetzt geschehen ist. Die Tatsache, dass damit eine neue weltweite Diskussionsgrundlage geschaffen worden ist, bedeutet jedoch einen qualitativen Fortschritt. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Ausgangslagen in den Ortskirchen sind.
Prof. Dr. Thomas Schüller: Dem Papst ist der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ein echtes Anliegen. Die Enttäuschung über den Gipfel sehe ich darin, dass zu wenige konkrete Schritte verbindlich verabredet wurden und die systemischen Ursachen wie Machtmissbrauch durch ein männerbündisches klerikales System völlig ausgeblendet wurden.
Was erwarten Sie von den deutschen Bischöfen zu diesem Thema?
Heimbach-Steins: Die deutschen Bischöfe haben sich auf gemeinsame Standards für die Prävention und für den Umgang mit Missbrauchstätern verständigt. In vielen Diözesen, nicht zuletzt von einigen in jüngerer Zeit ins Amt gekommenen Bischöfen, wird energisch und schonungslos auch gegenüber den Amtsvorgängern an der Aufklärung dunkler Vergangenheiten gearbeitet. Es wäre hilfreich, wenn die Bischofskonferenz zur konsequenten Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Linie ein externes Qualitätsmanagement aufsetzen und die vielfach geforderte Transparenz damit absichern würde.
Schüller: Ich erwarte nicht viel, weil man betonen wird, dass man in Sachen Prävention und Aufklärung von Missbrauchstaten schon weit vorangekommen ist. Dabei verhindert eine kleine, aber einflussreiche Gruppe von Bischöfen, dass vorurteilsfrei und mit dem Mut zu wesentlichen Veränderungen in der Kirche selbst die systemischen Probleme wie eine überkommene Sexualmoral, die weitgehende Ausschaltung von Frauen in der Leitung und ein sprichwörtlich lebensbedrohlicher Klerikalismus nicht mal diskutiert, geschweige denn mit dem Mut zur Veränderung angegangen werden.
Wie sollte die katholische Kirche als Weltkirche damit umgehen, dass es in vielen Ländern offenbar sehr unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt?
Heimbach-Steins: Die weltkirchliche Diversität ist nach meiner Wahrnehmung nicht so sehr eine Frage von Meinungen, sondern von kulturellen und auch von rechtlichen Bedingungen im Umgang mit Sexualität und Macht, mit Geschlechterbildern, dem Verständnis von Kindheit, Kinderschutz und innerkirchlich nicht zuletzt mit dem Verständnis des Priestertums und der Rolle von Klerikern. Die Arbeit an Strukturen, Instrumenten und Programmen, die weltkirchliches Lernen, kontextübergreifende Aufklärung und die Umsetzung von Schutz-Standards befördern, ist gerade deswegen unverzichtbar.
Schüller: In einer Sache kann man nicht unterschiedlicher Meinung sein: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist ein unverzeihlicher Seelenmord, der sowohl staatlich und anschließend innerkirchlich streng geahndet werden muss. Und: Prävention ist der beste Schutz vor potentiellem Missbrauch. Dann müssen natürlich die Bischöfe vor Ort in Blick auf die speziellen kulturellen Geprägtheiten einzelner Regionen mit Hilfe der Experten (Taskforce) entsprechende Aufklärungs- und Schulungsprogramme zunächst für die in der Seelsorge tätigen Männer und Frauen entwickeln. Und zwar in einer Sprache, die die Menschen wirklich verstehen und annehmen können.
Glauben Sie, dass damit auch das Zölibat wieder zum Thema wird?
Heimbach-Steins: Die Frage nach der Lebensform für den Priesterberuf ist komplexer, als die Reduktion auf die Verpflichtung zum Zölibat es erkennen lässt. Die Bedingungen, unter denen Priester heute ihren Dienst tun und ihr Leben gestalten, stehen insgesamt auf dem Prüfstand. Auf den Zölibat fokussiert sich deshalb so viel, weil eine lange Tradition der katholischen Kirche, Priester-Sein und zölibatäres Leben zu identifizieren, als zwingende Voraussetzung für diesen Beruf ausgelegt wird. Mindestens so wichtig wie dieses Thema scheint mir die gründliche Prüfung und Überwindung eines weithin überhöhten Klerikerbildes.
Schüller: Der Zölibat wird auf der im Oktober stattfindenden Amazonas-Synode in Rom diskutiert werden, damit zumindest für diese priesterarme Region Ausnahmeregelungen mit verheirateten Priestern möglich werden. Was den Missbrauch angeht, ist es zu einfach und alle Untersuchungen zeigen es auch, den Zölibat zu einer wesentlichen Ursache zu erheben. Er kann als Lebensform problematisch und gefährlich werden, wenn die Priester eine nur rudimentär ausgebildete sexuelle Reife aufweisen und in Zeiten beruflicher Unzufriedenheit und Überforderung meistens im Zeitkorridor um die 40 erstmalig zu Missbrauchstätern werden. Insgesamt wünsche ich dieser Lebensform den gleichen Respekt in der öffentlichen Wahrnehmung wie er zum Beispiel gegenüber der Ehe zum Ausdruck gebracht wird.
Nicht nur, aber auch wegen des Missbrauch-Skandals treten nach wie vor viele Menschen aus der Kirche aus. Wie kann oder muss die katholische Kirche jetzt agieren, um auch die neue Austritts-Welle zu stoppen?
Heimbach-Steins: Ich glaube nicht, dass die Kirche den Trend kurzfristig stoppen kann. Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen, geht nicht im Hauruck-Verfahren. Die Menschen, die auch jetzt noch zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der Kirche bereit sind, müssen erkennen können, dass die Tiefe der strukturellen Krise, dass die im System liegenden Missstände von denen, die in der Kirche Verantwortung tragen, wirklich ernst genommen und an der Wurzel bekämpft werden. Die Kirche muss ihre Selbstwahrnehmung korrigieren, die in dem klerikal-hierarchischen System überhöht und gewissermaßen verzerrt ist - als ob die Kirche ein Selbstzweck wäre.
Schüller: Aktions- und Imagekampagnen bringen nichts. Die Kirche, die tief auf dem Boden liegt und in einer noch nie dagewesenen Vertrauenskrise steckt, wird lernen müssen, demütig zu sein und durch viele kleine Schritte des authentischen Christseins die Menschen von der freimachenden Botschaft des Evangeliums zu überzeugen. Dies wird ein langer und steiniger Weg mit Rückschlägen sein.
Interview: Juliane Albrecht / Norbert Robers