Ein Spiel mit der Zumutung
Das Aquarell des im Jahr 2009 verstorbenen österreichischen Künstlers Alfred Hrdlicka mit dem Titel „Einsamkeit der Macht“ stammt von 1993. Die Farben sind erdig-warm, die Palette reicht von Aschgrau über Karamellbraun bis hin zu Gelb- und Orangetönen. Dargestellt ist der münstersche Wiedertäuferkönig Jan van Leiden auf seinem Thron. Mehr liegend als sitzend, die Beine weit ausgestreckt, hat er den Blick dem Betrachter des Bildes zugewandt. Jan van Leiden ist nackt. Mit beiden Händen umfasst er seinen erigierten Penis und masturbiert.
Diese Szene ist Teil der Bilderserie „Die Wiedertäufer“. Die anderen Werke der Reihe sind nicht weniger drastisch. Macht, Gewalt und Sex – besonders auch in ihrer Kombination – sind die dominierenden Motive. „Alfred Hrdlicka war vermutlich klar, was für eine Zumutung seine Zeichnungen für die Betrachter sind. Aber er hat damit gespielt, um die Brutalität der Wiedertäuferherrschaft in Münster darzustellen“, sagt Universitätskustos Dr. Eckhard Kluth.
Von 1999 bis 2007 hingen die 14 Bilder im Schloss: im Erdgeschoss im Südflügel-Flur, vor den Büros des Rektorats. Vermittelt durch den 2012 verstorbenen Psychologieprofessor Walter Schurian, der mit Alfred Hrdlicka befreundet war, hatte die WWU die Hrdlicka-Bilder teils durch Schenkungen erhalten, teils erworben. „Damals war die Universitätsleitung sehr stolz auf diese Originale und präsentierte sie im Schloss einer breiten Öffentlichkeit“, berichtet Eckhard Kluth.
Später rückte die Frage nach einem angemessenen Empfang von Gästen in den Vordergrund. Denn die Kunstwerke sorgten immer wieder für Irritationen und Ablehnung, nicht nur bei Studierenden und Angehörigen der Universität, sondern auch bei jenen, die das Rektorat besuchten und dabei unvermittelt auf die „Wiedertäufer“ stießen. „Die Bilder hingen so, dass man daran vorbeigehen musste“, erinnert sich Martina Hofer vom International Office der WWU, zu deren Aufgaben die Begleitung von Delegationen aus aller Welt bei Empfängen gehört. „Viele Besucherinnen und Besucher waren sichtlich peinlich berührt, darunter häufig Gäste aus Asien.“
2007 wurden die Zeichnungen im Zuge von Renovierungsarbeiten abgehängt und eingelagert. Seitdem sind sie unter Verschluss: Die Werke aus dem Wiedertäufer-Zyklus von 1993 lagern mit weiteren Druckgrafiken Alfred Hrdlickas im Kunstmagazin der WWU, wo sie nicht öffentlich zugänglich sind. „Es ist aber nicht so, dass der Wiedertäufer-Zyklus nicht mehr gezeigt werden darf. Die Bilder sind nicht hinter verschlossenen Türen, um sie dauerhaft zu verstecken“, unterstreicht Eckhard Kluth. „Das Schlossfoyer war allerdings der falsche Ort, um die Werke zu zeigen. Jeglicher Kommentar, der die drastischen Darstellungen vor ihrem historischen Hintergrund erklärt hätte, fehlte.“ Eine Kunstausstellung wäre der richtige Rahmen, um die Bilder wieder öffentlich zu präsentieren, meint der Kustos. Alternativ wäre auch denkbar, sie – zumindest vorübergehend – an einem geeigneten Ort innerhalb der WWU einem interessierten Publikum vorzustellen.
Da allerdings derzeit niemand an der WWU die Bilder bei sich im Institut oder in der eigenen Abteilung aufhängen möchte, lagern die „Wiedertäufer“ im Kunstmagazin hinter verschlossenen Türen. Hinzu kommen konservatorische Anforderungen, nach denen viele der Zeichnungen nicht dauerhaft dem Licht ausgesetzt sein sollen.
Als einziges Werk der Serie nicht im Archiv eingelagert ist Bild Nummer 14. Diese erst im Jahr 1997 entstandene Ergänzung zum Zyklus zeigt die Wiedertäufer Jan van Leiden, Bernhard Krechting und Bernd Knipperdolling nach ihrer Hinrichtung in den drei eisernen Körben am Turm der münsterschen Lambertikirche. Das großformatige Bild mit dem Titel „Die Käfige“ hängt im Büro von Katja Graßl, Personaldezernentin und stellvertretende Kanzlerin der WWU. Klar, etwas blutrünstig sei die Darstellung schon, aber im Vergleich zu den anderen Wiedertäufer-Bildern doch eher zurückhaltend, sagt Katja Graßl. „Und schließlich ist es ja ein Stück Stadtgeschichte, das Hrdlicka darstellt. Insofern passt es gut hierhin.“
Autorin: Christina Heimken
Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 8, Dezember 2018.