Die digitale Lehre im ersten Digital-Semester an der WWU stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar. Für viele Dozenten und Studierende ist es sogar Neuland. Die aktuelle Situation setzt aber auch Kreativität und außergewöhnliches Engagement frei. Wir stellen Ihnen im Rahmen einer mehrteiligen Serie kreative Ansätze des Lernens und Lehrens quer durch die Universität vor.
Teil 9: Digitale Tagesexkursionen (FB 14 Geowissenschaften)
Im Geographie-Studium sind Exkursionen unverzichtbar, um das erlernte Wissen praktisch anzuwenden. Aufgrund der Corona-Pandemie ist es jedoch nach wie vor schwierig, ungehindert Städte und Regionen zu besuchen. Um den Studierenden der Übungen Wirtschafts- und Siedlungsgeographie dennoch die Möglichkeit zu bieten, sich Themen des Studiums selbst zu erarbeiten, hat Dr. Petra Lütke gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Geographie der WWU einen Pool an digitalen Tagesexkursionen erarbeitet.
Mithilfe vorgegebener Fragestellungen, Literaturhinweisen, Websitelinks und weiteren Materialien im Learnweb können die Studierenden an sieben unterschiedlichen Projekten teilnehmen. Unter anderem setzen sie sich mit dem Strukturwandel anhand des neu entstanden Wohnquartiers am Dortmunder Phönix-See oder mit den Auswirkungen ethnischer, lokaler Ökonomien im Bielefelder Ostmannturmviertel auseinander. Die Dozenten unterstützen die Studierenden durch Zoom-Meetings bei ihren digitalen Exkursionen. Wenn es ihnen unter den gegebenen Schutzmaßnahmen möglich ist, dürfen die Studierenden außerdem allein und unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen zu den jeweiligen Standorten reisen.
Die Bearbeitung von zwei bis drei Aufgabenpaketen im Learnweb entsprechen einem Exkursionstag. Dadurch erwerben die Teilnehmer trotz ausfallender Tagesexkursion die benötigten Leistungspunkte. Die Studierenden entscheiden selbst, welche digitale Exkursion sie durchführen und wann sie die dazugehörenden Aufgaben schriftlich bearbeiten. „Diese zeitliche und räumliche Flexibilität war uns besonders wichtig“, betont Petra Lütke. Trotzdem vermissen viele Studierende und Dozenten die Diskussionen während der Ortstermine, die eine Exkursion ausmachen. „Besonders schade ist, dass die Studierenden ihr Wissen aus den Vorlesungen nicht in die Praxis übertragen können. Wir nähern uns mit dieser digitalen Art zu lehren und zu lernen den lebendigen Exkursions-Erfahrungen nur an – ersetzen können wir sie dadurch nicht“, unterstreicht Petra Lütke.
Teil 8: Zwischen Auflagen und Kreativität: Prüfungen im Digital-Semester
Teil 7: Digitale Kommunikation erforschen – im digitalen Semester (FB 9 Philologie)
Der Austausch über mobile Messenger-Dienste wie beispielsweise WhatsApp ist nicht mehr aus unserem kommunikativen Alltag wegzudenken. Die Angebote werden kontinuierlich erweitert und an die Bedarfe der Nutzer angepasst; zugleich entwickeln die Anwender neue sprachliche Praktiken, mit denen sie das Funktionsspektrum für ihre Zwecke ausdeuten. Emojis, Sprachnachrichten und Bild-Postings sind bereits fest im Repertoire digitaler Kommunikation verankert und weisen zahlreiche Muster auf, die im Rahmen des Seminars „Digitale Kommunikation“ unter der Leitung von Dr. Katharina König vom Germanistischen Instituts der WWU untersucht werden.
In dem Seminar entwickeln Studierende in Projektteams Forschungsfragen zur linguistischen Analyse digitaler Kommunikation und führen auf Basis der „Mobile Communication Database“ (MoCoDa), einer frei zugänglichen Online-Datenbank mit gespendeten WhatsApp-Chats, eigenständig eine empirische Studie durch. „Die Ergebnisse sollten eigentlich in einem Abschlussworkshop mit Studierenden eines parallel an der Universität Duisburg-Essen stattfindenden Seminars präsentiert werden“, berichtet Katharina König. Doch die Corona-Pandemie hatte in diesem Fall zur Folge, dass die digitale Kommunikation nicht mehr nur Seminargegenstand war, sondern ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation in Seminarsitzungen, Methoden-Sprechstunden und Teamsitzungen wurde.
Aus der Not soll eine Tugend gemacht werden: Die Abschlusstagung wird nun als digitale Videokonferenz stattfinden, an der Studierende aus beiden Projektstandorten teilnehmen, ihre Projekte vorstellen und intensiv diskutieren. Anstelle von Projektpräsentationen im klassischen Vortragsformat erstellen die Studierenden Video-Aufzeichnungen, sogenannte Screencasts, in denen sie ihre Forschungsfrage entwickeln sowie beschreiben, wie sie die Phänomene anhand der MoCoDa untersucht haben und zu welchen Ergebnissen sie gekommen sind.
Die Studierenden befassen sich unter anderem mit den Fragen, ob Emojis in der WhatsApp-Kommunikation eine feste Bedeutung haben, welche medienspezifischen Formen der Höflichkeit sich in WhatsApp-Chats nachweisen lassen, welche Rolle die Satzstellung und die Zeichensetzung in der informellen Schriftlichkeit digitaler Kommunikation spielen oder wie sich die Antwortpartikel ja von einem joa in getippten Messenger-Dialogen funktional unterscheidet. Die studentischen Videos werden im Vorfeld der Tagung online bereitgestellt und gemeinsam digital kommentiert.
In einem Abschlussworkshop diskutieren die Studierenden ihre Ergebnisse und tauschen sich mit den Entwicklern der MoCoDa aus – sie wollen dabei unter anderem den Bedarf für technische Erweiterungen der Datenbankabfrage diskutieren. Die studentischen Forschungsprojekte tragen dazu bei, die Datenbank künftig noch besser für linguistische Untersuchungen zur digitalen Kommunikation zu nutzen. Die Erweiterungen sollen anschließend aus Mitteln des Projekts in Auftrag gegeben werden und nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten für den Einsatz in der Lehre an anderen Hochschulen frei zur Verfügung stehen.
Teil 6: Eine virtuelle Rom-Exkursion: Raumerfahrungen sakraler Architektur (FB 2 Katholische Theologie)
Von großen Kathedralen und dem Anblick der Fresken und goldenen Ornamentik sind viele Besucherinnen und Besucher meist ergriffen. Manchmal fühlen sie sich sogar „erschlagen“, weil alle Sinne von der Menge an Eindrücken angesprochen und gefordert sind. All dies vom Schreibtisch aus erleben? Das erscheint unmöglich. Daher war im Sommersemester eine Exkursion im Rahmen des Masters „Christentum in Kultur und Gesellschaft“ in der Pfingstwoche nach Rom geplant, unterstützt von der dortigen Hochschule Sant‘Anselmo. Corona-bedingt war’s dann aber schnell hinfällig. Der Herausforderung „Raumerfahrungen barocker Sakralarchitektur“ haben sich Carolin Stadtbäumer und Prof. Dr. Reinhard Hoeps anders stellen müssen. Und, wie der Theologie-Didaktiker meint, zwar keinen Ersatz gefunden, aber „neue Wege der Vermittlung“ entdeckt. Es sei interessant, wie wichtig die Fokussierung auf wenige Bilder ist. Das hätte ein echter Rundgang nicht geschafft. „Wir haben die Absage der Exkursion und die damit verbundenen Einschränkungen als Chance begriffen, die sakrale Architektur in Rom erlebbar zu machen, ohne die Kirchenräume zu betreten. Aus der Not wurde mit einigen Improvisationen eine Tugend“, ergänzt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Unterstützend war TheoTViST mit von der Partie. Das Team für Videografie am Fachbereich Katholische Theologie ist schon seit mehr als zehn Jahren dabei, moderne, digitale Lehr- und Lernformate zu etablieren. Die Studierenden erstellten Filme von bis zu 50 Minuten Länge, in denen die Kirchen des römischen Barocks präsentiert wurden. Dafür nutzten sie das im weltweiten Netz zu findende Bild- und Videomaterial – beispielsweise 360-Grad-Panoramen wie dieses. „In Lektüresitzungen haben wir via zoom das recherchierte Bild- und Textmaterial in den virtuellen Führungen diskutiert. Zur inhaltlichen und technischen Begleitung der Aufgabe haben wir einen Reader für die Studierenden erstellt“, erklärt Carolin Stadtbäumer. Studentin Sophie Fanenstich (22) fasziniert die Tatsache, dass tatsächlich ein Raumgefühl für eine Kirche entsteht, wenn man Videos, Fotos und Literatur gekonnt zusammenbringt. Die Studierenden waren individuell gefordert, für ihr eigenes Bauwerk einen Rundgang zu entwickeln, Bilder zu zeigen, kunsthistorische Zusammenhänge zu erläutern. Das Ergebnis sind unterschiedliche Filme und ein Instagram-Profil zu den Barockkirchen Roms und der Wirkung ihrer Innenräume. Öffentlich gezeigt werden können diese Experimente virtueller Rundgänge aufgrund von urheberrechtlichen Einschränkungen leider nicht. Im Wintersemester übernimmt nach Reinhard Hoeps‘ Emeritierung Prof. Dr. Norbert Köster die Arbeitsstelle für Christliche Bildtheorie. Ein geplantes Projekt: „Digitale Vermittlung christlichen Kulturerbes in Westfalen“.
Teil 5: Brahms und Mozart aus der Ferne (FB 15 Musikhochschule)
Die Pandemie als Schub in Sachen Digitalisierung? Darauf hätten viele Musikerinnen und Musiker vermutlich gerne verzichtet, auch die Dozenten der Musikhochschule. Wie in kaum einem anderen Fach sind deren Studierende auf die persönliche Begegnung angewiesen. Viel Zeit und Energie investieren Lehrende und Verwaltung daher, um die Herausforderungen des Digital-Semesters zu bewältigen.
So schaltete sich die Geigenklasse von Prof. Koh Gabriel Kameda am 21. Mai zu ihrer ersten kontinentübergreifenden Unterrichtsstunde zusammen. Einige der asiatischen Studierenden konnten noch nicht wieder zurück nach Münster fliegen, sodass Koh Gabriel Kameda mit diesen per Videotelefonat arbeitet. Beim ersten digital unterstützten Klassenvorspiel präsentierten die Münsteraner dem Dozenten und einander ihre Fortschritte in Werken von Brahms und Mozart. Student Daehyeon Kang steuerte per Livestream aus Korea eine barocke Ciaccona bei. Durch die Videoübertragung nahm er sowohl als Zuhörer als auch aktiv an der Veranstaltung teil. Sein Dozent und seine Mitstudierenden konnten die Beiträge aus Korea in Bild und Ton per Beamer an der Wand des Seminarraums verfolgen. Koh Gabriel Kameda wird den Unterricht per Videoanruf fortsetzen. „Momentan arbeite ich an einem Distance-Learning-System für meinen Unterrichtsraum“, berichtet er. „Das hatte ich schon vor Corona geplant.“ Sein Student Marcelo Albuja Aguilar übernahm für die aufwändige Unterrichtseinheit per Video eine zusätzliche Aufgabe. Neben den Etüden und Tonleitern, die er auf der Geige vorbereitet hatte, sorgte er als technischer Assistent für den reibungslosen Ablauf.
Einzelunterricht aus der Ferne – um die Kontakte zu minimieren – kann eine Zeitlang durchaus gut funktionieren. „Unsere theoretischen Fächer wie Musiktheorie und Musikgeschichte bieten wir ebenfalls online an“, erläutert Studiendekanin Barbara Plenge. Orchester und Chöre können online jedoch nicht miteinander proben. Derzeit vermitteln zwar etliche Videos im Netz den Eindruck, dass Streicher, Bläser oder Sänger vermeintlich aus dem Homeoffice zusammen ein Stück aufführen. Die Stimmen sind dann jedoch einzeln eingespielt und anschließend zusammengeschnitten worden. Cellisten der Klasse Prof. Matias De Oliveira Pinto haben auf diese Weise ein Video (s.u.) mit dem Adagio aus Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ aufgenommen, in einer Bearbeitung für Celloensemble durch den brasilianischen Studenten Renan Moreira.
Teil 4: Literaturgeschichte als Blog (FB 9 Philologie)
Als Kolporteure bezeichnete man im 19. Jahrhundert Menschen, die Personen, denen der Zugang zu Literatur aufgrund ihrer Schichtzugehörigkeit verwehrt blieb, mit Lesestoff versorgten. Dass ihre Studierenden einmal selbst spüren könnten, wie es ist, nicht an benötigte Literatur zu gelangen, war Dr. Katharina Grabbe vom Germanistischen Institut der WWU allerdings nicht klar, als sie vor einigen Monaten das Seminar über Kolportage-Literatur entwickelte.
Gemeinsam mit Studierenden der Universität Oldenburg sollten sich die Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnhmer am Beispiel einer einzigartigen Sammlung sogenannter Groschenheftchen, die unter anderem Mord- und Kriminalgeschichten enthalten, mit dem Phänomen der Kolportage-Literatur auseinandersetzen. Doch statt der Schichtzugehörigkeit ist es nun die Corona-Pandemie, die das Highlight des Seminars, eine Exkursion nach Oldenburg inklusive Archivbesuch und einem Treffen mit der Oldenburger Seminargruppe, verhindert.
„Glücklicherweise wurde eine Auswahl an Literatur aus der in der Landesbibliothek Oldenburg aufbewahrten Sammlung professionell für uns digitalisiert, was bereits vor der Corona-Pandemie geplant war“, berichtet die Germanistin. Somit kann zumindest der Teil des Seminars, in dem die Studierenden eigenständig einen Text aus der Sammlung im Sinne des „Forschenden Lernens“ bearbeiten, nahezu unverändert stattfinden. Um die Zusammenarbeit mit der anderen Seminargruppe und die gegenseitige Ergebnispräsentation zu ermöglichen, musste sich Katharina Grabbe mit ihrem Oldenburger Kollegen jedoch etwas einfallen lassen – es entstand die Idee eines gemeinsamen Blogs.
„Die Idee, die Seminarergebnisse aus Münster und Oldenburg in Form eines Blogs zusammenzutragen, entstand erst während des Digital-Semesters“, erzählt die Seminarleiterin. Auf diesen Weise soll jeder erarbeitete Text der Studierenden zum Ende des Seminars als virtuelles Ausstellungsstück verfügbar sein. Zudem biete diese Form der Präsentation Möglichkeiten, die Ergebnisse der Studierenden längerfristig und gegebenenfalls öffentlich zu zeigen und sich mit Interessierten auszutauschen, erläutert Katharina Grabbe.
Die Chance, über individuelle Ergebnisse zu diskutieren und die noch unerforschte Sammlung zu erschließen, reizt auch Seminarteilnehmer Henning Podulski. „Das digitale Semester fordert allerdings mehr Selbstständigkeit von den Studierenden. Frau Grabbe bringt uns viel Geduld entgegen. So haben wir die Möglichkeit, nach wie vor eigenständig Erkenntnisse zu sammeln“, berichtet er. Sorge, dass ihr digitales Projekt nicht gelingen könnte, hat Katharina Grabbe nicht. „Allerdings bedaure ich sehr, dass ich die Studierenden in diesem Semester nicht persönlich sehen werde. Meiner Erfahrung nach kann der Austausch in Zoom die Diskussionen im Seminarraum nicht ersetzen.“ Dem stimmt Henning Podulski zu: „Präsenzlehre ist auf Dauer durch kein Tool dieser Welt zu ersetzen.“
Teil 3: Computeralgebra interaktiv gestalten (FB 10 Mathematik und Informatik)
Privatdozent Dr. Christian Serpé vom Mathematischen Institut der WWU hat sich viele Gedanken dazu gemacht, wie sich seine Studierenden im Online-Semester aktiv mit dem Lernstoff auseinandersetzen können. Der Blockkurs „Lineare Algebra und Analysis mit einem CAS“ – einem sogenannten Computeralgebrasystem, das zur Durchführung von mathematischen Berechnungen dient – wird als Online-Kurs im Learnweb angeboten. „Bei der Konzeption des Kurses war es mir wichtig, dass die Studierenden von Anfang an aktiv und selbständig mit dem CAS arbeiten und nicht einfach nur passiv die Videos konsumieren. Deshalb habe ich viele Videos interaktiv gestaltet“, erklärt Christian Serpé. „In vielen Videos sind Fragen und Aufgaben integriert, die die Studierenden beantworten beziehungsweise lösen müssen, bevor es weitergeht. Erst wenn genügend Aufgaben richtig gelöst sind, schaltet sich der nächste Lernabschnitt frei.“
Zusätzlich wurde der Blockkurs durch Zoom-Übungsgruppen zu einzelnen Themen und Zoom-Frageräume begleitet. Das ermöglicht Studierenden, die Schwierigkeiten mit den Kursinhalten haben, gemeinsam zu diskutieren, sich gegenseitig weiterzuhelfen und individuelle Hilfe von Tutorinnen und Tutoren zu bekommen.
Eine große Herausforderung in der Online-Lehre sei der fehlende persönliche Kontakt. „Es ist um ein Vielfaches schwieriger, die Studierenden zu motivieren und zu begeistern. Außerdem fehlt mir das direkte Feedback“, sagt der Dozent, der bereits vor der Corona-Pandemie viele Erfahrungen mit Online-Elementen in seinen Lehrveranstaltungen gesammelt hat und diese anhand der Rückmeldungen der Studierenden weiterentwickeln konnte. Trotzdem sei die Umsetzung guter Online-Lehre mit einem nicht unerheblichen Mehraufwand verbunden.
„Ich bin mit dem Kursverlauf bisher sehr zufrieden. Die Studierenden konnten den Kurs wie geplant absolvieren. Es gab an einigen Stellen Schwierigkeiten und technische Probleme, die aber meistens schnell behoben werden konnten“, berichtet Christian Serpé. Bisher hätten die meisten Studierenden die abschließenden Hausaufgaben sehr gut bearbeitet und somit die Lernziele erreicht.
Teil 2: „Handgestricktes“ aus der Online-Welt für Geisteswissenschaftler (FB 8 Geschichte/Philosophie)
Für Prof. Dr. Jan Keupp hatte der Start ins Online-Semester einen Hauch von „Guerilla-Taktik“ – schließlich musste so mancher geisteswissenschaftliche „Online-Neuling“ die digitalen Lern- und Lehrmethoden in den ersten März-Wochen aus dem Stegreif entwickeln. „Das Online-Semester kam Corona-bedingt einem Überfall gleich. Wie bei vielem anderen im Alltag musste alles ad hoc und teils ohne große Planung umgesetzt werden. Mir war schnell klar, dass einige Studierende sowie Dozentinnen und Dozenten sofort Hilfe brauchen“, erinnert sich der 46-Jährige. Der digital versierte Historiker legte los, entwarf kleine Filme mit aus der Kinowelt entlehnten Trailern zum Schmunzeln und genaue Schritt-für-Schritt-Anweisungen mit Tipps – zum Beispiel zur Vertonung von Powerpoint-Präsentationen oder mit abfotografierten Internetseiten (Screenshots), um die Handhabung des neuen Instrumentariums der Online-Welt zu veranschaulichen.
„Denk dir was aus“: Mit diesen Worten eines Kollegen hatte sich Jan Keupp auf die Suche gemacht – im Wissen um einen kleinen Nachteil seiner Fachkollegen im Vergleich zu vielen Naturwissenschaftlern, für die Grundkenntnisse in Informatik wie selbstverständlich zum Fach gehören. „Brillante Musikwissenschaftler oder Philosophen kommen normalerweise ohne dieses Wissen aus“, weiß Jan Keupp. Er hat Spaß daran, die teils kompliziert wirkenden Werkzeuge der Computerprogramme auf einfache und verschmitzte Art zu erklären. „Es sollte gerade nicht perfekt sein. Das ‚Handgestrickte‘ aus dem Homeoffice sollte man sehen“, betont er. Der Mittelalter-Historiker, der Studierenden jetzt im Online-Semester etwa die Grundlagen zum Lesen von Texten aus dem 12. bis 15. Jahrhundert beibringt, forscht neben seiner Hilfe zur Selbsthilfe weiter. Er fand Online-Plattformen wie „CodiMD“. Damit können mehrere Seminarteilnehmer gleichzeitig Texte schreiben und bearbeiten.
Zugleich habe der neue Umgang mit Zoom als Videokonferenz-Plattform zur Folge, dass die Studierenden direkt zur Mitarbeit animiert werden können. „Wer sich im Seminar sonst weggeduckt hat, bekommt jetzt von mir die Aufforderung, sich mit der Zoom-Chat-Funktion zu beteiligen. Früher meldeten sich vielleicht drei Leute, heute muss jeder etwas in den Chat schreiben. In solchen Fällen wird die Präsenzpflicht wortwörtlich umgesetzt.“ Zudem fordere er ständig Kommentare ein. Sein neuester Coup ist ein Lernvideo zum Thema: „Wie lese ich mittelalterliche Liebesbriefe?“.
Teil 1: Wettkampfgeist im Seminar „Gymnastik und Tanz“ (FB 7 Psychologie und Sportwissenschaft)
Für die Bachelor-Studierenden der Seminare „Gymnastik und Tanz“ Teil A und Teil B am Institut für Sportwissenschaft heißt es in diesem Semester: digitales Lernen von Zuhause aus. Zu Beginn des Online-Semesters war für die Dozentinnen Dr. Barbara Halberschmidt und Sarah Riedel nicht klar, wie sie die vielen praktischen Übungen ohne Präsenzveranstaltungen umsetzen sollen. „Wir können eine Menge zu theoretischen Aspekten einer Sportart berichten. Aber ohne die praktische Umsetzung der Bewegungen haben wir uns Sorgen um die Motivation der Studierenden gemacht“, berichtet Sportpsychologin Barbara Halberschmidt.
Um dennoch Bewegung in den Kurs einzubauen, hatte Sarah Riedel vom Arbeitsbereich Sozialwissenschaften des Sports eine pfiffige Idee: eine „Challenge“ der Dehnfähigkeiten, um einen Vergleich zwischen statischem (Teil A) und dynamischem Dehnen (Teil B) zu erhalten. „Das Konzept soll einerseits zur Leistungssteigerung der Studierenden beitragen und andererseits die Motivation der Kursteilnehmer aufrechterhalten“, erläutern die beiden Wissenschaftlerinnen, die zum ersten Mal ein Online-Seminar veranstalten.
Im Laufe der ersten sechs Seminarwochen findet zweimal wöchentlich ein Dehnprogramm mit fünf Fertigkeiten statt. Die Seminarteilnehmer sollen innerhalb von 15 Minuten die Übungen Standwaage, Brücke, Langsitz, Grätschsitz und Arm-Rumpf-Winkel-Dehnung durchführen. Jede Übung wird mit einem Foto dokumentiert und anschließend im Learnweb, der zentralen e-Learning-Plattform der WWU, hochgeladen. Die Dozentinnen bewerten die Ausführung und den Grad an Beweglichkeit. Im besten Fall steigern die Teilnehmer ihre Dehnfähigkeiten kontinuierlich. „Der Gewinnerkurs bekommt am Ende des Seminars einen Preis. Der wird überreicht, wenn wir hoffentlich wieder alle zusammen auf dem Sportplatz stehen“, sagt Sarah Riedel.
Der Wettkampf und die Online-Lehre kommen auch bei den meisten Studierenden des Seminars gut an. Für die 22-jährige Kathrin Pasel ermöglicht das Seminar eine „super Vorbereitung“ auf die Klausur. „Außerdem können wir viele Ideen für unsere Praxisprüfung sammeln, da wir uns im Seminar häufig ‚Best–Practice-Beispiele von Prüfungen anschauen. Die Dehn-Challenge ist für mich eine extra Motivation, sich auch während der Zeit des Online-Semesters fit zu halten“, erklärt die Mathe- und Sportstudentin, die sich im sechsten Semester befindet. Dennoch fehle ihr der fachpraktische Teil, der nicht vollständig durch die Online-Lehre ersetzt werden könne.
Die Dozentinnen sind begeistert von der Anstrengungsbereitschaft und der Geduld der Studierenden. Trotzdem hoffen sie, dass das Seminar und das Online-Semester eine einmalige Lehr- und Lernerfahrung ist. „Ich hätte unter normalen Umständen digitale Lehre vermutlich niemals kennengelernt – empfinde es aber als eine positive Herausforderung, die ich gerne eingehe. Auch für die Studierenden ist das eine tolle Erfahrung“, sagt Barbara Halberschmidt. Dennoch fehle der persönliche Kontakt und die besondere Atmosphäre, die normalerweise in den Sportkursen herrscht.
Wenn Sie ebenfalls ein interessantes Lehrprojekt vorstellen möchten, das eigens für das Digital-Semester entwickelt wurde, melden Sie sich gerne bei uns (communication@uni-muenster.de).
Der „WWU Teach Tank“ am Zentrum für Hochschullehre (ZHL) bietet eine Plattform für Lehrende zum weiteren Austausch, zur Orientierung und Vernetzung rund um das Thema digitale Lehre. Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.uni-muenster.de/ZHL/vernetzung/index.html.