Die Frage, inwiefern die digitale Revolution die Wissenschaften beeinflusst hat, stand im Mittelpunkt eines Workshops, den das ZfW am 14. November 2014 veranstaltete. Eva-M. Jung und Ulrich Krohs hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen eingeladen, um mit ihnen über Chancen und Risiken der Digitalisierung zu diskutieren.
Sie hat den Umgang mit Daten revolutioniert und inner- sowie interdisziplinären Austausch stark erleichtert. Gleichzeitig beinhalten diese Veränderungen jedoch auch die Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Umgangs mit vielen wissenschaftlichen Objekten. Auch wenn einige Bereiche dem analogen Zugriff voraussichtlich vorbehalten bleiben werden, hat die digitale Revolution bereits Einfluss auf weite Bereiche der Wissenschaft genommen.
Die digitale Revolution in der Philosophiegeschichte. Fallbeispiele aus der Anwenderperspektive
Im ersten Vortrag des Workshops führte Jens Lemanski vor Augen, auf welche Weise die Digitalisierung Einzug in das philosophiehistorische Arbeiten gefunden hat. So ermöglicht sie unter anderem individuelle Textanalysen, qualitative Suchen in Bibliotheken, öffentliche Nanopublikationen und Big-Data Analysen. Neben dieser positiven Seite der Ausweitung der analogen Wissenschaft bringt die digitale Wissenschaft aber auch Probleme mit sich, wie beispielsweise die starke Abhängigkeit der Suchergebnisse von der Auswahl, der Beständigkeit und Genauigkeit der Datenbanken. Die digitale Revolution verursacht Lemanski zufolge zwar keinen grundlegenden methodischen Wandel im Sinne eines Paradigmenwechsels, eröffnet aber neue und vielfältige Möglichkeiten der wissenschaftlichen Vorgehensweise.
Digitale Narrative. Aspekte einer literarischen Modelltheorie
Inwiefern die digitale Revolution nicht nur wissenschaftliche Methoden, sondern auch wissenschaftliche Untersuchungsgegenstände als solche prägt, untersuchte Robert Matthias Erdbeer für den Bereich der Literaturwissenschaft. So finden sich Narrative nun auch in Form von Computerspielen, die sich häufig mit herkömmlichen Ansätzen, welche auf klassische Narrative zugeschnitten sind, nicht mehr richtig erfassen lassen, und die zum Teil auch neue Formen der Kunst darstellen. Die digitale Revolution führt hier, wie Matthias Erdbeer zeigte, zur Notwendigkeit eines neuen Zugriffs auf das Narrative, wie es in digitalen Medien, beispielsweise in PC-Spielen, zu finden ist.
Durch die digitale Revolution konnte sich, wie Martin Burger zeigte, eine neue wissenschaftliche Disziplin bilden, die Imaging Science. Diese greift als Querschnittsdisziplin auf Bereiche wie Physik, Mathematik, Chemie, Biomedizin und Engineering zurück, um sich mit der direkten oder indirekten Aufnahme sowie der Weiterverarbeitung und Analyse von Bildern zu befassen. Der Aspekt des Digitalen hält dabei Herausforderungen für die Wissenschaft bereit: Beispielsweise müssen die mathematischen Algorithmen der digitalen Bildherstellung und -speicherung auf verschiedene Formate anwendbar sein, außerdem müssen objektive Mechanismen mit subjektiven Empfindungen (zum Beispiel ästhetischen Eindrücken) in Einklang gebracht werden.
Das Digitale als Werkzeug, als Metapher und als Forschungsthema der Psychologie
Im Zuge der digitalen Revolution, so Rainer Bromme, ist das Digitale sowohl Teil der wissenschaftlichen Praxis psychologischer Forschung als auch Forschungsthema der Psychologie geworden. Zeitgleich mit der technischen Entwicklung des Computers vollzog sich seit Mitte der 1960er Jahre eine Abkehr vom Behaviorismus zur Psychologie der mentalen Informationsverarbeitung. Dabei dient das Digitale einerseits als Metapher (Vergleich von Mensch und Computer), als Werkzeug (neue technische Möglichkeiten) und als Forschungsgegenstand (insbesondere bei der Untersuchung der Interaktion von Mensch und Maschine).
Digitalisierung und Datenmanagement in der Postgenomzeit
Auch in der Biomedizin zeigt sich, dass die digitale Revolution neue Möglichkeiten wissenschaftlichen Arbeitens eröffnet. So ist beispielsweise die Forschung zum Genom bereits aufgrund der Datenmenge, die das Untersuchungsobjekt liefert, auf eine digitale Erfassung der Daten sowie auf digitale Methoden angewiesen. Die Digitalisierung ermöglicht es den Wissenschaftlern, außergewöhnlich viele Daten zu produzieren. Gleichzeitig birgt der Umgang mit einer so großen Datenmenge jedoch auch Schwierigkeiten, wie Monika Stoll verdeutlichte: Insbesondere in Deutschland fehlen Fachkräfte zur Auswertung der Daten.
Reproduzierbarkeit und Transparenz: vom klassischen Papier zur interaktiv ausführbaren Publikation
Auch im Bereich der Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten ist die digitale Revolution von Bedeutung. So zeigten Christian Kray und Edzer Pebesma, inwiefern mit Hilfe digitaler Medien der Wunsch nach öffentlich zugänglichen Daten, Analysen etc. umgesetzt werden, und zwar in Form einer besonderen Art wissenschaftlicher Veröffentlichung, bei welcher der Analyseprozess des Wissenschaftlers reproduziert wird. Das Papier entwickelt sich mittels Digitalisierung von einem passiven Informationsträger zu einem interaktiv zugänglichen Werk. Ergebnisse werden reproduzierbar und Forschung transparent.
Datenmodelle für die personalisierte Medizin
Martin Dugas schilderte, auf welche Weise man mit Hilfe des Digitalen einer wichtigen Herausforderung des Umgangs mit Patientenakten begegnen könnte. Diese Herausforderung besteht darin, dass Datenmodelle in der personalisierten Medizin heterogen, hochkomplex und aus Datenschutzgründen für die Wissenschaftler nicht frei zugänglich sind. Die digitale Revolution kann an dieser Stelle einen starken positiven Einfluss nehmen, da sie den Zugriff auf medizinische Datenmodelle für die Wissenschaftlergemeinschaft erleichtert. Das hätte eine Verminderung der aktuell hohen Kosten durch ineffiziente Informationssysteme in der Medizin zur Folge und könnte auch zur Verbesserung der Datenmodelle beitragen.
Ontologien als Beitrag zur Digitalisierung in den Lebenswissenschaften
Im letzten Vortrag des Workshops widmete Ludger Jansen sich dem Problem des Umgangs mit digital erfassten Daten. Zwar sind digital erfasste Daten leichter zu handhaben als analoge Daten, da die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten des Zugriffs auf die Daten sowie die Vernetzung derselben bereitstellt. Trotzdem erfordert auch die digitale Verarbeitung von Daten ein besonderes Augenmerk auf die zugrunde liegende Ontologie als begriffliches Strukturierungssystem. Hierbei muss die Ontologie Jansen zufolge gewissen Kriterien unterliegen: Beispielsweise ist es ratsam, eine Top-Level Ontologie zu verwenden, ontologische und epistemologische Aspekte zu trennen sowie Ontologie-Artefakte zu vermeiden. Auch hier zeigt sich erneut, dass die digitale Revolution sowohl Möglichkeiten als auch Herausforderungen bereithält.