Teilprojekt B04

Rhetorische Strategien in jüdischen und islamischen Rechtstexten

Das Teilprojekt zielt auf einen Vergleich von islamischer Fatwa- und jüdischer Responsa-Literatur. Diese beiden literarischen Genres stellen bis zu einem gewissen Grade funktionale Pendants dar: In beiden Fällen handelt es sich um Stellungnahmen von Gelehrten zu primär rechtlichen und ritualgesetzlichen Problemen, die von Laien, Gerichten oder anderen Gelehrten an sie herangetragen werden. Das Erteilen von Fatwas geht bis in die Frühzeit des Islam zurück und die jüdische Responsa-Literatur weist eine Geschichte von mehr als 1300 Jahren auf. In beiden religiösen Traditionen entstanden mit der Zeit Sammlungen von Fatwas bzw. Responsa und es wurden in unterschiedlichem Umfang auch Empfehlungen für das Verfassen solcher Rechtsgutachten gegeben.
Der geplante Vergleich bezieht sich nicht auf die juristische, sondern primär auf die literarische Dimension dieser Rechtstexte. Wir fragen nach den rhetorischen Strategien, welche die Verfasser von Fatwas und Responsa entwickelt haben, um Autorität zu generieren. Dazu gehören stilistische und sprachliche Mittel ebenso wie spezifische Argumentationsformen, aber auch Formen der Intertextualität, etwa in Gestalt von Zitaten und anderen autoritätsstiftenden Verweisen. Darüber hinaus interessieren uns auch außersprachliche Aspekte der Performanz wie etwa Verhaltensnormen bei der Kommunikation zwischen Laien und Gelehrten.
Wir gehen davon aus, dass Umfang und Art der verwendeten Strategien maßgeblich durch institutionelle Rahmenbedingungen der jeweiligen Rechtsdiskurse geprägt sind. Wichtige Rahmenfaktoren könnten z.B. die Existenz von Rechtsschulen oder von (anderen) hierarchischen Strukturen innerhalb des Diskurses sein, wie auch das Verhältnis zwischen Gelehrten und staatlicher Macht oder die Strukturen religiöser Wissensproduktion. Ein weiterer entscheidender Faktor dürfte der hermeneutische Umgang mit Rechtsquellen sein. Diese Rahmenfaktoren sind in der jüdischen und islamischen Tradition nicht identisch, weshalb wir annehmen, dass sich in ihnen teilweise unterschiedliche rhetorische Strategien herausgebildet haben. Es gilt aber für beide Traditionen, dass die genannten Rahmenfaktoren keine Konstante darstellen, sondern seit je her durch geographische Unterschiede und historische Wandlungsprozesse geprägt sind. Zum jüdisch-islamischen Vergleich treten daher im Teilprojekt auch räumliche und diachrone Vergleichsperspektiven hinzu. Insbesondere wollen wir untersuchen, wie sich rhetorische Strategien mit dem Übergang zur Moderne verändert haben, denn mit ihr haben sich die oben angesprochenen Rahmenfaktoren in besonders signifikanter Weise verschoben. Durch diesen Fokus will das Teilprojekt zugleich eine weiterführende Perspektive für die zweite und dritte Förderphase erschließen. Mit der Moderne gewinnen sowohl die Globalisierung als auch die Entstehung neuer Medien eine zentrale Bedeutung für die Produktion von Fatwas. Im Judentum haben sich in der Moderne in verschiedenen jüdischen Zentren neue Genres etabliert, die zum Teil eine Nähe zu der Responsaliteratur aufweisen bzw. in denen über die Halacha (das Religionsgesetz) reflektiert wird.
Mit dem Projekt verfolgen wir einen in doppelter Hinsicht neuen Forschungsansatz in Judaistik und Islamwissenschaft: Innovativ ist zum einen der systematische Fokus auf die literarische Dimension von Fatwas und Responsa, die bislang fast ausschließlich auf ihre rechtlichen oder institutionellen Aspekte hin untersucht wurden. Innovativ ist weiterhin der komparative Ansatz des Projekts, der ein multipler ist: Wir vergleichen rechtliche Literaturproduktion in unterschiedlichen Epochen und Regionen, die zudem durch unterschiedliche religiöse Traditionen bestimmt sind. Durch diesen breit angelegten Vergleich erhoffen wir uns neue Erkenntnisse darüber, wie institutionelle, politische, technische, kulturelle und andere Rahmenfaktoren die literarische Gestaltung von Rechtstexten beeinflussen.

Teilprojektleitung

Prof. Dr. Regina Grundmann
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Jüdische Studien
Johannisstr. 1, Raum 108
48143 Münster
Tel.: +49 251/83-26103
Email: regina.grundmann@uni-muenster.de

Prof. Dr. Norbert Oberauer
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Arabistik und Islamwissenschaft
Schlaunstr. 2, Raum 228
48143 Münster
Tel.: +49 251/83-24571
Email: norbert.oberauer@uni-muenster.de

Wissenschaftliche Mitarbeit

Sehra El-Khodary
Dr. Nicola Kramp-Seidel