(D9) Der Vatikan und die Legitimation physischer Gewalt. Das Beispiel des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939)
Die umfangreichen, seit September 2006 neu zugänglichen Bestände des Vatikanischen Geheimarchivs (ASV) für die Jahren Pius’ XI. (1922-1939) bieten ein schier unerschöpfliches Reservoir, um die weltumspannende Politik der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert mit Blick auf das Themenfeld „Religion und Gewalt“ aus neuer Perspektive zu betrachten. Welche Schemata lassen sich in dem Vatikanischen Handeln erkennen? Wann verurteilten Papst und Kurie Waffengewalt, wann tolerierten, wann legitimierten, wann propagierten sie sie? Am Beispiel des blutigen Konflikts, der in den dreißiger Jahren das katholische Spanien zerriss, wird die Brisanz dieser Fragen besonders deutlich.
Durch die Friedensnote von Papst Benedikt XV. am 1. August 1917 kamen in der katholischen Kirche lange und vielschichtige Diskussion auf. Bestimmte Formen der Gewalt verloren nach und nach jene religiös-moralischen Legitimierungen, die ihr eine vielhundertjährige theologische Tradition und eine klare kirchliche Gewohnheit garantiert hatten. Mitte der 30er-Jahre wurde dieser Tendenz aber schroff widersprochen: Hier kann man eine Rückkehr zur Lehre des gerechten Krieges feststellen.
Selten wurde während des 20. Jahrhunderts die Frage nach dem Verhältnis von Kirche, Religion und Gewalt nachdrücklicher gestellt als während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939). Spätestens ab Februar 1936 symbolisierte die Wahlniederlage der katholischen Massenpartei das Ende des pragmatischen Weges, die Republik vom innen her in Richtung eines autoritären Staats umzusteuern. Die generelle Erwartung eines gewaltsamen Endes breitete sich aus – auch kirchlicherseits. Bei Kriegsausbruch ergriff die katholische Kirche Spaniens dann zwar nicht einstimmig, doch mehrheitlich offen Partei und unterstützte die putschenden Militärs um General Franco schon ab der dritten Kriegswoche ideologisch, propagandistisch und materiell. Das ist umso bemerkenswerter, als die Religion weder bei den Putschvorbereitungen noch in den ersten Kriegswochen – vielleicht mit der Ausnahme der tief katholischen Region Navarra – eine wichtige Rolle spielte.
Dennoch rechtfertigten einflussreiche Kirchenführer öffentlich die Anwendung extremer Gewalt gegen den Kriegsgegner und erklärten den Bürgerkrieg zum „Kreuzzug“, in dem die Gebote christlicher Barmherzigkeit und Nächstenliebe keine Gültigkeit besäßen. Der spanische Episkopat drang wiederholt auf eine grundsätzliche Stellungnahme Roms zum Problem religiös legitimierter Gewaltanwendung, um seine Unterstützung der Kriegspartei Francos rechtfertigen zu können. Ob (und wenn ja wie) man sich in Rom darauf einließ, welche Kräfte innerhalb des Vatikans eine solche Diskussion fördern, welche Kräfte sie verhindern wollten und welche Folgen sich daraus für das grundsätzliche Verhältnis der katholischen Christenheit zur physischen Gewalt ergaben, kann anhand der neuen Archivbestände erstmals überprüft und mit der kirchlichen Gegenüberlieferung in Spanien abgeglichen werden. Aber auch, wie pragmatisch die Spanienpolitik des Vatikans angesichts der Gewalt seiner Parteigänger (möglicherweise) war, kann jetzt erstmals im Detail herausgearbeitet werden.
Die Stellung des Vatikans zu staatlicher und nicht-staatlicher Gewalt wäre außerdem durch exemplarische Studien unter anderem mit Blick auf Mexiko, die Sowjetunion, Italien, Deutschland und Österreich international vergleichend zu untersuchen.
Internationaler Workshop „Gott will es“. Die katholische Kirche und die Legitimation von Gewalt im Spanischen Bürgerkrieg (Münster, 8. bis 9. September 2011)
Mitte Juli 1936 entfesselte in Spanien ein Militärputsch den Ausbruch eines blutigen, dreijährigen Bürgerkrieges. Anlässlich der 75. Wiederkehr dieser Ereignisse fand vom 8. bis 9. September 2011 ein von Dr. Gianmaria Zamagni und Toni Morant i Ariño im Rahmen des Projekts „Der Vatikan und die Legitimation physischer Gewalt am Beispiel des Spanischen Bürgerkriegs“ organisierter internationaler und interdisziplinärer Workshop zum Thema statt. In diesem Workshop behandelten Expertinnen und Experten aus verschiedenen Ländern und Fächern das Verhältnis von Religion und Politik im Spanien der 1930er und 40er Jahre zwischen Republik, Bürgerkrieg und Diktatur. Zu Wort kamen verschiedene Disziplinen: Geschichte, Religions- und Rechtswissenschaften, Theologie und Philosophie.