(B2-22) Jenseits konfessioneller Eindeutigkeit. Zur diskursiven Formierung religiös devianter Gruppen in der Frühen Neuzeit
Betrachtet man die Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit aus dem Blickwinkel einer umfassenden Frömmigkeitsgeschichte, so fällt die Vielschichtigkeit und Dynamik der religiösen Formen und Praktiken ins Auge. Immer deutlicher konturiert sich dann eine Gegenbewegung und Kehrseite zu den zu Recht konstatierten Vereindeutigungs- und Rationalisierungsprozessen des Konfessionellen Zeitalters. Diese Kehrseite manifestiert sich nicht zuletzt in den vielen mystisch-spiritualistischen Schriften, die zyklisch wiederkehrende Konjunkturen aufweisen, von der Täuferbewegung im 16. Jahrhundert über die Nonkonformisten des 17. Jahrhundert bis zu den Pietisten des 18. Jahrhundert (vgl. Habilitationsprojekt Pietsch). Die sorgsam gezogenen religiösen wie konfessionellen Grenzen, die gelehrte Theologie und obrigkeitliche Kirchenordnungen zu kontrollieren suchten, wurden durch diese Schriften aufgeweicht und überschritten. Das Spektrum der Positionen reicht dabei von der expliziten Ritualkritik über verschiedene Dissimulationsstrategien bis hin zur perfektionistischen Vergottung des Gläubigen. Verinnerlichungstendenzen und ein elitäres Erwählungsbewusstsein waren Vehikel dieses ‚anderen‘, oft auch von Frauen beanspruchten religiösen Expertentums, religiöse Ambiguität war ihr Resultat. Diese Ambiguität brach die im Konfessionalismus weitestgehend zu Deckung gebrachten Diskurse von Politik und Religion erneut auf und verflüssigte die scheinbare Eindeutigkeit von territorialer Zugehörigkeit und Bekenntnis.
Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattformen E Differenzierung und Entdifferenzierung und G Religion, Politik und Geschlechterordnung.