Religiöse Abgrenzung durch Musik
Katholischer Theologe Leonhard zum Umgang antiker Juden und Christen mit Musik
Wie Juden und Christen in der Antike mit Musik umgingen, hat der katholische Theologe Prof. Dr. Clemens Leonhard im Rahmen der Ringvorlesung „Musik und Religion“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ analysiert. „Die Arbeit an religiöser Musik trug stark dazu bei, die eigene Gruppe zu konstituieren und nach außen abzugrenzen“, erläuterte der Liturgiewissenschaftler, der die Ringvorlesung im Sommersemester mitkonzipiert hat. „Spezifisch christliche Melodien lassen sich jedoch nicht nachweisen.“ Christen und Juden lehnten in den ersten drei Jahrhunderte reine Instrumentalmusik meist ab, da Instrumente in heidnischen Riten oder zur Machtdemonstration der heidnischen Herrscher verwendet wurden. Hingegen hießen sie texthaltige Musik etwa in Form gesungener Psalmen oder neu gedichteter religiöser Hymnen gut. Prof. Leonhard hob hervor, dass zwischen der musikalischen Praxis der Gläubigen und den überlieferten theoretischen Auffassungen von Musik zu unterscheiden sei. Der Vortrag trug den Titel „Religion und Musik im antiken Judentum und Christentum“.
Die Klänge christlicher Musikstücke konnten wahrscheinlich von der Musik der antiken Umwelt nicht unterschieden werden, wie der Liturgiewissenschaftler anhand des einzigen überlieferten christlichen Textes mit antiker Notation zeigte: „Das Notenblatt aus Oxyrhynchos, ein Papyrus aus dem antiken Ägypten, zeigt eine große Nähe zur griechischen Musik und der Tradition ihrer Verschriftlichung.“ Heute sei die Rekonstruktion der notierten Klänge dank auf Musik spezialisierter Antikenforschung möglich. Eine Vertonung dieses Fragments eines christlichen Hymnus‘ brachte der Forscher während seines Vortrages zu gehör. Die Klänge weiterer Hymnen seien allerdings nicht rekonstruierbar, da kein anderes Dokument Notenschrift überliefere.
Religiöse Hymnendichtung
Prof. Leonhard stellte religiöse Musik in der Antike als „Teil einer anti-polytheistischen Identitätssuche im Christentum und zum Teil im Judentum“ vor. „Christen und Juden mieden bestimmte musikalische Praktiken, indem sie etwa Musik bei traditionellen Gastmählern, den Symposien, durch gesprochene Gebete ersetzten.“ Christliche und jüdische Quellentexte aus den ersten drei Jahrhunderten wendeten sich polemisch gegen Bräuche ihrer Umwelt und ließen darin ihre Meinung darüber durchscheinen, was sie für akzeptable religiöse Musik hielten. In seinem Vortrag zog der Liturgiewissenschaftler Texte des christlichen Theologen Clemens von Alexandrien, heran, der reine Instrumentalmusik ablehnte. Die Musikinstrumente assoziierte der antike Autor mit Krieg und Gewalt sowie mit den religiösen Riten der antiken Umwelt: „Für gottesdienstliche Versammlungen der christlichen Gruppe stellte sich Clemens vor allem Vokalmusik vor, die nicht von Instrumenten begleitet wurde.“
Texthaltige Formen von Musik waren demnach sehr wohl in Übung, wie der Theologe ausführte. Denn ein christlicher oder jüdischer Text machte beliebige Melodien zu religiöser Musik für die eigene Religion: „Der Text konnte als Disambiguierung der Musik verstanden werden, da er als eindeutiger Inhalt galt, während der Melodie kein eigenständiger religiöser Gehalt beigemessen wurde.“ Manche christlichen und jüdischen Autoren seien sogar überzeugt gewesen, dass mit Musik versehene Texte eine größere soziale Wirkung entfalteten als die bloß sprachlichen Texte, so dass man diese Musik nutzte, um religiöse Lehren zu verbreiten. „Ab dem vierten Jahrhundert entwickelte sich im Judentum und den verschiedenen Kirchen des Christentums eine große Kreativität der Hymnenproduktion, die in musikalischer Hinsicht als bedeutsamer eingestuft werden muss als der Gesang der überlieferten biblischen Psalmen in der christlichen Tagzeitenliturgie.“
Obwohl Christen und Juden eigene musikalische Stile schufen, übernahmen sie in theoretischen Überlegungen zur Musik Prof. Leonhard zufolge oftmals Argumente und Klischees der antiken Philosophie über die Wirkungen von Musik. „Dabei führten sie für die Gültigkeit dieser Auffassungen oft nicht einmal konkrete Anhaltspunkte in ihrer Gegenwart an. Mehrere Quellen neigen in Anlehnung an Platon zu einem großen Optimismus darüber, dass gute Musik Menschen verbessert und schlechte Musik Menschen ethisch verdirbt, oder dass sich mittels Musik religiöse Inhalte wirksam verbreiten lassen.“ (ill/dak)