Religiöses Entscheiden im Judentum
Judaistin Regina Grundmann über Antworten jüdischer Gelehrter auf religionsgesetzliche Fragen
Über die Antworten jüdischer Gelehrter auf religionsgesetzliche Fragen in Form der sogenannten Responsa hat die Judaistin Prof. Dr. Regina Grundmann vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters und des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Kulturen des Entscheidens“ der WWU gesprochen. „Ein Responsum ist ein Gutachten, das eine halachische, das heißt eine religionsgesetzliche Autorität, als Antwort auf eine schriftlich gestellte Anfrage verfasst“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Sie zeichnete die Entwicklungen innerhalb der jüdischen Responsaliteratur vom 7. bis zum 20. Jahrhundert nach und führte aus, in welcher Hinsicht die technologische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte neue Fragen aufgeworfen hat.
Die Anfänge der jüdischen Responsaliteratur als eigenständiges Genre halachischer Literatur lagen in der Epoche der Geonim, der Oberhäupter der Talmudakademien in Babylonien, dem damaligen Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, wie die Wissenschaftlerin sagte. In dieser Epoche, die zwischen dem 7. und dem 11. Jahrhundert angesetzt wird, wurden Responsa innerhalb des institutionellen Rahmens der Talmudakademien Babyloniens verfasst und waren als Kollektiventscheidungen legitimiert.
Rabbinische Responsa
Als im 11. Jahrhundert mit dem Erlöschen der Institution des Gaonats die Vorherrschaft der babylonischen Akademien endete, hatten sich nach den Ausführungen bereits neue Zentren jüdischer Gelehrsamkeit in Nordafrika und Europa etabliert. „Gemeinden hatten begonnen, ihre Anfragen nicht mehr an die Geonim in Babylonien zu richten, sondern stattdessen an halachische Autoritäten in ihren Regionen,“ erläuterte Prof. Grundmann. Die Entscheidungen, die die angefragten halachischen Autoritäten in ihren Responsa mitgeteilt hätten, seien nicht mehr, wie bei den babylonischen Talmudakademien, durch den institutionellen Rahmen als Kollektiventscheidungen legitimiert gewesen, sondern hätten ausschließlich eine Einzelentscheidung des jeweiligen Gelehrten in Bezug auf den in der Anfrage geschilderten Fall wiedergegeben, die zu begründen und zu legitimieren gewesen sei.
Im letzten Teil des Vortrags widmete sich die Judaistin der Responsaliteratur im 19. und 20. Jahrhundert. Seit dem Zeitalter der Emanzipation sei die Responsaliteratur um zahlreiche neue Gegenstände erweitert worden. Nicht zuletzt hätten die Entwicklungen neuer Technologien sowie neue Erkenntnisse und neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Medizin die halachischen Autoritäten mit neuen Fragen konfrontiert.
Der Vortrag trug den Titel „Responsa als Praxis des religiösen Entscheidens im Judentum“. Die öffentliche Ringvorlesung „Religion und Entscheiden“ befasst sich im Wintersemester mit der Frage, wie von der Antike bis heute in Judentum, Christentum und Islam über Religiöses entschieden wird und wer dies in welcher Weise tun darf. Am Dienstag, 20. Dezember, spricht der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf über das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit. Der Vortrag trägt den Titel „‚Dann muss halt das Dogma die Geschichte besiegen.‘ Unfehlbare Entscheidungen des kirchlichen Lehramts“. Er ist um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 zu hören. (maz/vvm)