„Dann muss halt das Dogma die Geschichte besiegen“
Kirchenhistoriker Hubert Wolf über die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit
Über die Entstehung des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit hat der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf in der Ringvorlesung „Religion und Entscheiden“ des Exzellenzclusters und des Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Entscheidens“ gesprochen. Der Theologe zeichnete die „konfliktreiche Entstehung der vielleicht umstrittensten Entscheidung in der Geschichte der katholischen Kirche“ nach. Papst Pius IX. verkündete das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenfragen 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil.
Der Wissenschaftler legte das Konzilsgeschehen detailliert dar. Er zeigte, dass die Verabschiedung des Dogmas zunächst nicht auf der Tagesordnung des Konzils stand. Viele hätten an seiner Berechtigung gezweifelt und gefragt: „Sind religiöse Wahrheiten nicht etwas durch die Offenbarung Vorgegebenes und Unverfügbares und damit a priori menschlichem und auch kirchlichem Handeln entzogen?“ Doch Papst Pius IX. und seinen Unterstützern sei es geschickt gelungen, die Verfahrensordnung zu bestimmen, das Thema „Unfehlbarkeit“ auf die Tagesordnung zu setzen und die Diskussionen zu kontrollieren. Schließlich hätten sie auch durchgesetzt, dass bei der Abstimmung über das neue Dogma keine Einstimmigkeit herrschen musste.
Die Gegner des Dogmas argumentierten auf dem Konzil, ohne ausreichende Freiheiten könnten nach katholischem Kirchenrecht keine gültigen Entscheidungen zustande kommen. Der Rottenburger Bischof Carl Joseph von Hefele konnte nach den Worten des Kirchenhistorikers belegen, dass es mindestens einen Papst gab, der nachweislich geirrt habe: Honorius, den im 7. Jahrhundert ein Konzil feierlich als Häretiker verurteilte. Die Gegner Hefeles erwiderten darauf: „Dann muss halt das Dogma die Geschichte besiegen.“ Unbotmäßige Bischöfe setzte Pius IX. persönlich unter Druck, wie Hubert Wolf darlegte. Die meisten deutschen Würdenträger seien schließlich vorzeitig aus Rom abgereist, um dem neuen Dogma nicht zustimmen zu müssen.
Neue Stellung des Papstes
Die Lehre von der Unfehlbarkeit und die neue Stellung des Papstes wurden laut Prof. Wolf „mit viel Aufwand inszeniert“. Die Katholiken hätten schließlich nicht nur zu glauben gehabt, was der Papst in feierlicher Entscheidung verkündete, sondern auch, was er mit der römischen Kurie kraft seines „gewöhnlichen und allgemeinen Lehramtes“ vorlegte. „Früher war religiöse Wahrheit jeder menschlichen Entscheidung entzogen“, sagte der Kirchenhistoriker. „Sie war gegeben, man konnte sie nur bezeugen. Jetzt kann der Papst allein entscheiden, was wahr ist.“ Allerdings gebe es Akzeptanzprobleme: „Es ist kein Geheimnis, dass sich viele Katholikinnen und Katholiken in dieser Hinsicht mit den Entscheidungen des Papstes schwertaten und schwertun.“
Der Vortrag trug den Titel „‚Dann muss halt das Dogma die Geschichte besiegen.‘ Unfehlbare Entscheidungen des kirchlichen Lehramts“. Die öffentliche Ringvorlesung „Religion und Entscheiden“ befasst sich im Wintersemester mit der Frage, wie von der Antike bis heute in Judentum, Christentum und Islam über Religiöses entschieden wird und wer dies in welcher Weise tun darf. Am Dienstag, 10. Januar, spricht die Historikerin Prof. Dr. Birgit Emich aus Erlangen über das Entscheiden im frühneuzeitlichen Papsttum. Der Vortrag trägt den Titel „Bürokratie, Patronage und der Heilige Geist. Modi des Entscheidens im frühneuzeitlichen Papsttum“. Er ist um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 zu hören. (exc/ill/vvm)