Differenzierungstheorie auf dem Prüfstand
„Tag des Exzellenzclusters“ in Münster zum Start der zweiten Förderphase
Zum Start der zweiten Förderphase des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ sind die Mitglieder des Forschungsverbundes zu einem internen Symposium über die Differenzierungstheorie zusammengekommen. Am „Tag des Exzellenzclusters“ diskutierten sie anhand von Analysen und Fallbeispiele aus unterschiedlichen Epochen, ob diese Theorie – insbesondere mit Blick auf die Ausdifferenzierung der Bereiche von Religion und Politik – auch künftig als Analyseinstrument dienen kann und wie sie dafür modifiziert und ergänzt werden sollte. Die Differenzierungstheorie und die Säkularisierungsthese, deren theoretisches Rückgrat sie bildet, waren in den vergangenen Jahren zum Gegenstand kontroverser Diskussionen geworden.
Der Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann schrieb vor etwa 15 Jahren: „Zu den wenigen Konstanten in der hundertjährigen Geschichte der Soziologie gehört die Annahme, dass die moderne Gesellschaft durch ein besonderes Ausmaß und eine eigentümliche Form sozialer Differenzierung zu kennzeichnen sei.“ Die Argumente, die inzwischen gegen die Theorie erhoben wurden, waren Gegenstand des Tags des Exzellenzclusters. Debattiert wurde etwa der Einwand, der Differenzierungstheorie fehle es an Erklärungskraft, weil sie auf makrosoziologischer Ebene angesiedelt sei, aber keine akteurstheoretische Fundierung auf mikrosoziologischer Ebene besitze.
In 14 Vorträgen wendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Fragen von Differenzierung und Entdifferenzierung auf Fallbeispiele an, vom alten Ägypten und der christlichen und jüdischen Antike über das chinesische Mittelalter und den Bettelordensstreit bis zu „säkularen Christen“ in der Gegenwart und der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Strafrechts. Der „Tag des Exzellenzclusters“ mündete in eine öffentliche Podiumsdiskussion mit dem Thema „Blasphemie und Beschneidung – Religionen im öffentlichen Raum“. (vvm)
Vorträge am „Tag des Exzellenzclusters“
Differenzierung und Entdifferenzierung als soziologische Interpretationskategorien | Detlef Pollack |
Differenzierung und Entdifferenzierung von Religion und Politik: ein Kommentar | Ulrich Willems |
Dimensionen der Differenzierung und Entdifferenzierung aus philosophischer Sicht | Ludwig Siep und Michael Quante |
Der „gottgleiche Pharao“? – Situative Differenzierung von Religion und Politik im alten Ägypten | Angelika Lohwasser |
Gab es eine jüdische und eine christliche Religion in der Antike? | Hermut Löhr und J. Cornelis de Vos |
Differenzierung von Religion in Anekdoten des chinesischen Mittelalters? | Michael Höckelmann |
Staat, Religion und Staatsreligion im Buddhismus | Perry Schmidt-Leukel |
Episcopal Actors and Royal Action: Distinguishing Religion and Politics in the Eleventh Century | Theo Riches |
Differenzierung und Entdifferenzierung im Bettelordensstreit | Sita Steckel |
Differenzierungstheorie, Reformation und Reichsverfassung | Barbara Stollberg-Rilinger |
Entdifferenzierung? Zum Wissenschaftsprogramm der spanischen Spätscholastiker | Nils Jansen |
Entdifferenzierungssperren: Die religiösweltanschauliche Neutralität des Strafrechts | Bijan Fateh-Moghadam |
Autorschaft als Medium der Entdifferenzierung? | Martina Wagner-Egelhaaf und Christian Sieg |
Die säkularen Christen. Rekonstruktion eines Modus deutscher Selbstbeschreibung in den medialen Debatten über die Integration von Migranten | Hendrik Muijsson |