„Falls die Medizin uns unsterblich macht“
US-Philosoph John Martin Fischer über Licht- und Schattenseiten des ewigen Lebens – Öffentlicher Vortrag am Exzellenzcluster
Viele Menschen wollen ewig leben: Doch der Menschheitstraum von der Unsterblichkeit hat aus philosophischer Sicht Schattenseiten. „Es würde langweilig und einsam, wenn ein unsterblicher Mensch im Diesseits keine Beziehungen zu anderen Unsterblichen hätte“, erläutert US-Philosoph Prof. Dr. John Martin Fischer. „Quälend würde es auch, wenn ein ewig lebender Mensch keine sinnvolle Aufgabe hätte, nicht gesund wäre und keine ewig stabile Persönlichkeit hätte“, so der international renommierte Experte für philosophische Fragen zu Tod und Unsterblichkeit. Er hält am Montag, 19. November, am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ einen öffentlichen Vortrag über die Frage „Würden wir ewig leben wollen, wenn wir könnten?“
Obwohl Unsterblichkeit bislang nicht möglich ist, hält der Philosoph aus Kalifornien die Diskussion für zeitgemäß. „Trotz ständiger Bedrohung durch Krankheiten leben die Menschen durch den wissenschaftlichen Fortschritt immer länger. Mein Blick geht in eine mögliche Zukunft, in der die Medizin soweit fortgeschritten ist, dass sie ein Leben ohne Tod erlaubt.“ Die Menschen müssten sich früh damit auseinandersetzen, ob sie eine solche Form des ewigen Lebens wünschten und ob Unsterblichkeit Fluch oder Segen sei. Der englischsprachige Vortrag „Immortality“ („Unsterblichkeit“) ist um 18.00 Uhr im Englischen Seminar der WWU, Raum ES 24, Johannisstraße 12-20 in Münster zu hören. Der Eintritt ist frei.
„Licht am Ende des Tunnels“
Zur Förderung seiner Forschungen über Tod und Unsterblichkeit erhielt der Experte im Juli fünf Millionen Dollar von der amerikanischen John Templeton Foundation. Damit will er das Thema fächerübergreifend beleuchten: aus der Sicht der Philosophie, Theologie, Biologie und Psychologie. Ein Augenmerk legt der Forscher auch auf Nahtoderfahrungen. Er will untersuchen, warum diese bei Menschen in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bilder hervorrufen. „Westliche Menschen, die wiederbelebt wurden, berichten oft über Licht am Ende eines dunklen Tunnels. Japaner hingegen beobachten sich in derselben Situation häufig bei der Pflege eines Steingartens.“
Der Tod habe durchaus positive Auswirkungen auf das Leben, betonte der Philosoph. „Die Angst vor dem eigenen Ende treibt uns an wie ein Motor.“ Viele Menschen handelten im Diesseits moralischer, weil sie göttliche Strafe im Jenseits fürchteten. „Unter bestimmten Bedingungen wie sinnvollen Aufgaben und dauerhaften Beziehungen kann das Leben aber auch ohne Tod kostbar und voller Schönheit, Sinn und Moral sein.“
Von Gilgamesch-Epos bis „Cyberpunk“
Der Wunsch nach Unsterblichkeit im Diesseits ist Prof. Fischer zufolge keineswegs neu: „Menschen haben schon immer das ewige Leben erstrebt – in der Religion, Philosophie und Medizin. Es ist auch eines der wichtigsten Themen der Weltliteratur.“ Das reiche vom babylonischen Gilgamesch-Epos über die biblische Geschichte von Adam und Eva bis zu John Miltons „Paradise Lost“ und Goethes „Faust“. Auch die Science Fiction-Literatur greife das Thema auf. „Das Genre des ‚Cyberpunk‘ spielt mit der Idee, der Verstand eines Menschen könnte in Computersysteme hochgeladen und dort unsterblich werden.“ Science Fiction setze sich meist offener und positiver mit Unsterblichkeit auseinander als die meisten Philosophen, hob der Forscher hervor.
Der Wissenschaftler befasst sich zugleich mit Vorstellungen von Unsterblichkeit im Jenseits. „Der Mensch hat ein tiefes Bedürfnis danach, herauszufinden, was mit ihm nach dem Tod passiert. Eine große Rolle spielt dabei die Angst vor dem Unbekannten.“ Die meisten Jenseitsvorstellungen seien religiös begründet. Die Ideen unterscheiden sich demnach nicht nur von Religion zu Religion, sondern auch innerhalb jeder Religion. „Manche Christen glauben etwa, dass nur die Seele unsterblich sei, für andere spielt Körperlichkeit weiterhin eine große Rolle. Was die ekstatische und glückselige Einheit mit Gott im islamischen Paradies genau bedeutet, ist auch unter Muslimen umstritten.“
Philosoph Prof. Dr. John Martin Fischer von der Universität Kalifornien, Riverside, forscht von Juli bis Dezember in Münster. Er ist Fellow der Kolleg-Forschergruppe „Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“ der WWU Münster. Am Exzellenzcluster spricht er auf Einladung des Philosophen Prof. Dr. Michael Quante, der das Cluster-Projekt A17 „Konstellationen und Staatskritik im Linkshegelianismus“ leitet. (han/vvm)