„Centrum für Religion und Moderne“ feierlich eröffnet
Bekannter Soziologe Berger sieht wachsende Bedeutung der Religion weltweit – Leidenschaftlicher Islam und wachsende Pfingstbewegung
An der Universität Münster ist am Montagabend das neue „Centrum für Religion und Moderne“ (CRM) feierlich eröffnet worden. „Mit der interdisziplinär ausgerichteten Einrichtung wollen wir die Forschungen über Religion und Moderne, die im Rahmen des Exzellenzclusters ‚Religion und Politik‘ angestoßen wurden, verstetigen und weiter intensivieren“, erklärte CRM-Sprecher Politologe Prof. Dr. Ulrich Willems beim Festakt in der Aula des Schlosses. „Wir werden untersuchen, wie sich die Rolle von Religionen und Kirchen in modernen Gesellschaften verändert.“
Der bekannte Religionssoziologe Prof. Peter L. Berger aus Boston sagte in seinem Festvortrag, Religion spiele heute fast überall auf der Welt eine große Rolle. „Wir haben das lange falsch gesehen: Religion verträgt sich durchaus mit der Moderne und ist keineswegs im Verschwinden begriffen.“ Als Beispiele nannte Prof. Berger einen „leidenschaftlichen Islam von Nordafrika bis Indonesien“ und die wachsende evangelikale Pfingstbewegung in Afrika und Südamerika. „Durch Einwanderer aus diesen Regionen gelangt das Übersinnliche des Glaubens auch nach Europa und in die USA.“
Prof. Dr. Stephan Ludwig, Prorektor für Forschung der Universität Münster, hob die hohe Bedeutung der interdisziplinären Religionsforschung an der Hochschule hervor. „Exzellente Forschung braucht dauerhafte Strukturen, die der Exzellenzcluster mit dem CRM und zwei weiteren Centren frühzeitig schafft.“ Das CRM bilde gemeinsam mit dem „Centrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung“ und dem „Centrum für Kultur- und Religionsgeschichte des Altertums“ das organisatorische Rückgrat, um das Forschungsthema „Religion und Politik“ an der WWU nachhaltig zu etablieren.
„Zugleich an Wunder glauben“
Religionssoziologe Prof. Peter L. Berger widersprach in seinem Vortrag der klassischen Säkularisierungstheorie, die ein Verschwinden der Religion in der Moderne sieht. Die meisten Menschen könnten heute rationale Elemente der säkularen Moderne, etwa im Berufsleben, problemlos mit supra-rationalen Elementen ihres Glaubens vereinigen, so der vielfach ausgezeichnete Soziologe. „Ein Pfingstler in den USA hat kein Problem damit, ein Auto rational-technisch zu entwickeln und zugleich an Wunder oder Zeichen Gottes zu glauben.“ Das Phänomen finde sich bis hinein in wohlhabende und intellektuelle Gesellschaftsschichten. Anders als früher würden Menschen nicht mehr in Religionen hineingeboren, sondern entschieden sich individuell. „Das ist sehr modern.“ Auch die Sozialethik der Pfingstler lasse sich mit der Moderne vereinbaren, sie ähnle stark der protestantischen Ethik Max Webers.
Relativierung oder Fundamentalismus
In der heutigen Situation der religiösen Vielfalt müssten Staaten unbedingt die Religionsfreiheit garantieren, unterstrich der Forscher. Zwischen verschiedenen Religionen, die in einer Gesellschaft zusammenlebten, müsse ein Kompromiss gefunden werden, wie ihn der Westfälische Frieden 1648 in Münster und Osnabrück geschaffen habe. „Viele Regime wie China wissen heute nicht, wie sie mit der wachsenden religiösen Pluralität umgehen sollen.“ Das Nebeneinander verschiedener Glaubenssysteme bringe eine Relativierung mit sich. Wer das nicht akzeptiere, neige zum Fundamentalismus, sagte Prof. Berger. Der Vortrag hieß "Nach dem Niedergang der Säkularisierungstheorie“.
CRM-Sprecher Prof. Willems führte in seiner Ansprache aus, dass die rund 30 Mitglieder des neuen Centrums aktuelle Themen im Spannungsfeld von Religion, Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft untersuchen und sich durch Studien, öffentliche Veranstaltungen, Internet- und Medienbeiträge auch in laufende Debatten einbringen wollen. Der neuen Einrichtung gehören Vertreter folgender Fächer der Uni Münster an: Politologie und Soziologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, katholische, evangelische und islamische Theologie sowie Religions-, Islam-, Kommunikations- und Literaturwissenschaft.
Im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ forschen rund 200 Wissenschaftler aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern und elf Ländern. Bund und Länder fördern ihn im Rahmen der Exzellenzinitiative bis Oktober 2012 mit 37 Millionen Euro. Der Forschungsverbund hat eine Verlängerung bis 2017 beantragt. (vvm)