Streit um den „einzigen Islam“
Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu zum Selbstmordattentat im pakistanischen Lahore
Der Selbstmordanschlag an einem muslimischen Heiligenschrein im pakistanischen Lahore ist laut Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu Folge einer Radikalisierung und Politisierung des alten Streits um den „einzigen Islam“. Allerdings sei die Eskalation der Gewalt neu. „Auch die islamischen Gruppen, die eine Verehrung der Heiligen ablehnen, sind äußerst vielfältig und nur zu einem sehr geringen Teil gewaltbereit“, betont die Expertin vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), die seit mehr als 20 Jahren in Indien und Pakistan forscht.
In Südasien stehen sich laut Basu zwei alte Traditionen des Islams gegenüber: „Die einen verehren die Heiligen, ohne die sich der Islam in der Region niemals durchgesetzt hätte. Die anderen legen den Koran und weitere schriftliche Überlieferungen sehr eng aus und verurteilen die Heiligenverehrung.“ In dieser Tradition stehen nach den Worten der Ethnologin auch die Taliban. „Für sie sind die Anhänger der Heiligen - die Sufis - Abweichler und keine Muslime mehr.“
Bei dem Anschlag in Lahore waren am Donnerstag mehr als 40 Menschen ermordet worden. Die zwei Selbstmordattentäter zündeten ihre Bomben am Schrein des Sufi-Heiligen Hazrat Syed Ali Bin Usman Hajweri, der im 13. Jahrhundert lebte. „Er gehörte zu dem sehr toleranten und sehr populären Chishti-Orden, dem ältesten Orden, der in der Region selbst entstanden ist“, erläutert die Ethnologin. Die Gegner der Heiligenverehrung seien auf dem indischen Subkontinent vor allem im 19. und 20. Jahrhundert während der britischen Kolonialzeit und im Rahmen der Unabhängigkeitsbewegung erstarkt. In Pakistan bemüht sich laut Basu auch der Staat seit 30 Jahren, die sufistischen Heiligtümer zu „islamisieren“ und bestimmte Frömmigkeitsformen zu verbieten.
In ihrem Projekt C12 „Mentale Gesundheit, religiöse Pluralität und kulturelle Modelle des Politischen“ untersucht Helene Basu am Exzellenzcluster „Religion und Politik“, wie traditionelle Heiler und Psychiater an den Schreinen muslimischer Heiliger Kranke behandeln. (arn)