„Religionen sind intolerant“
Jüdischer Schriftsteller Seligmann über das Miteinander der Weltreligionen
Der jüdische Schriftsteller Rafael Seligmann hält Religionen für intolerant. „Rabbiner, Bischöfe oder Imame sind zwar Experten in Medienarbeit und sagen in der Öffentlichkeit, wie tolerant ihre Religionen sind“, sagte der Berliner Autor am Montagabend in Münster. Tatsächlich schließe die Logik der monotheistischen Religionen Toleranz aber aus. „Jede Religion hat ein Monopol auf Glückseligkeit. Sie allein kennt den Weg vom irdischen Jammertal in den Himmel. Das bedeutet Konkurrenz zu allen anderen“, erklärte Seligmann in einer Podiumsdiskussion am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
Nach außen hat sich nach Meinung des Publizisten auch das Judentum stets tolerant gezeigt. „Es will nicht einmal missionieren.“ Allerdings habe es in seiner Geschichte als Minderheit auch keinen Konflikt riskieren wollen. „Aggressionen konnten sich dafür nach innen entladen“, sagte Seligmann. „Als Spinoza im 17. Jahrhundert die orthodoxe Auslegung des Judentums in Frage stellte und für Wissenschaftlichkeit eintrat, wurde er aus der vermeintlich so toleranten Gemeinde Amsterdams verbannt.“ Eine solche Traditionskritik sei nicht möglich gewesen.
Mit Blick auf Toleranz im Christentum erklärte Seligmann: „Nun wollen die katholischen Brüder und Schwestern wieder für uns verstockte Juden beten. Das passt in die Tradition der Inquisition. Notfalls musste man nachhelfen – und wenn es dazu Scheiterhaufen braucht.“ Zum Islam erklärte der Schriftsteller, es gebe durchaus die Rechtfertigung „des Glaubenskrieges, des Dschihad“, auch wenn bei öffentlichen Veranstaltungen Toleranz gepredigt werde. In einem Pressegespräch sagte Seligmann, er sehe keine Chance zum interreligiösen Dialog, weil jede Religion ihren eigenen Gott vertrete. „Wenn man Gott vertritt, wie soll man da Kompromisse machen? Das geht nicht.“
Toleranz als Mittel zum Zweck
Der atheistische deutsch-türkische Dramaturg, Verleger und Übersetzer Recai Hallaç stellte auf dem Podium fest, dass die türkische Regierung unermüdlich von einem „toleranten und weltoffenen Islam“ spreche. Das diene politischen und wirtschaftlichen Interessen. „Wenn man von den USA und den Börsen der Welt anerkannt werden will, kann man als Republik Türkei nicht mit einer fundamentalistischen Religion ankommen.“ Hinter dieser Toleranz steht nach den Worten des Künstlers eine neue islamische Bourgeoisie, die mit ihren Firmen Exporterfolge sucht. Dazu passe auch eine neue Mode: „Die türkische Intelligenz gefällt sich darin, am Weihnachtsfest in die Kirche zu gehen.“
Seligmann und Hallaç sprachen bei einem Podium zum Thema „Beyond Tradition? Tradition und Traditionskritik in Religionen“. Sie war Teil einer gleichnamigen dreitägigen Konferenz am Exzellenzcluster und am Centrum für Religiöse Studien (CRS). Bis Dienstagabend diskutieren die Wissenschaftler aus Deutschland, Israel und den USA das Phänomen der Traditionskritik, das die monotheistischen Religionen von der Antike bis heute geprägt hat.
„Wer seine religiöse Tradition kritisiert, hat oft einen schweren Stand“, sagten die Veranstalter, die Judaistin Prof. Dr. Regina Grundmann und Theologe Prof. Dr. Assaad Elias Kattan. Es sei auch in nachaufklärerischer Zeit bis heute keine Seltenheit, dass religiöse Traditionen zunehmend dogmatisch definiert und Neudeutungen unterbunden werden. Während für die Religion die Bewahrung und Weitergabe der Tradition von grundlegender Bedeutung sei, lebten Literatur und Kunst von der Infragestellung des Überlieferten. (vvm)