„Keine Diktatur kommt ohne Volk aus“
Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer: Größere Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für das Dritte Reich als vermutet
Die Herrschaft Hitlers besaß nach Einschätzung des Historikers Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer einen größeren Rückhalt im deutschen Volk als bisher angenommen. „Keine moderne Diktatur kommt ohne ein gewisses Maß an Zustimmung des Volks aus“, sagte er am Dienstag in der Ringvorlesung „Rituale der Amtseinsetzung“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die jüngere Forschung zur Bedeutung der Rhetorik und Praxis der Volksgemeinschaft im NS-Regime belege diese „unangenehme Tatsache“. Hitler habe es verstanden, die Massen durch charismatische Auftritte und durch die vermeintliche Erfüllung von sozialen Rettungs- und Aufstiegserwartungen für seine Politik zu begeistern. Vor allem in der Anfangsphase des Dritten Reichs musste das Regime laut dem Professor für Neuere und Neueste Geschichte aber Rücksicht auf seine konservativen Bündnispartner nehmen und den „Schein der Legitimation“ wahren.
Fackelzüge in der Provinz
Als ein Beispiel nannte Thamer in seinem Vortrag „Legitimation durch Inszenierung. Stufen der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung und Selbstdarstellung“ den „Tag von Potsdam“, die Einberufung des neuen Reichstags am 21. März 1933. Die damaligen Zeremonien in der Garnisionkirche waren ihm zufolge ein Kompromiss mit den Erwartungen der alten Eliten und ganz auf den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zugeschnitten. „Der Nationalsozialismus stand dabei keineswegs im Vordergrund, vielmehr entsprach der säkularisierte National-Gottesdienst den deutschnationalen Vorstellungen der Gesellschaft vor Hitler.“ Erst die Feierlichkeiten im Anschluss wiesen einen anderen Charakter auf, so der Wissenschaftler. „Der Fackelzug am selben Abend wurde in den darauffolgenden Tagen überall in der Provinz aufgegriffen und wiederholt.“ Diese Mobilisierung der Massen sei eindeutig ein nationalsozialistisches Element der Herrschaftsinszenierung gewesen, betonte der Neuzeithistoriker.
Personenkult
Hitlers Übernahme des Amtes des Reichspräsidenten nach von Hindenburgs Tod habe bereits unter neuen Vorzeichen gestanden. Im Inland sei sich Hitler seiner Macht so sicher gewesen, dass er auf eine formelle Veranstaltung verzichtete. Der Welt hingegen präsentierte er sich nach den Worten Thamers „in einem sorgsam geplanten Staatsakt“. „Dadurch sollte der Eindruck einer legitimierten Einsetzung vermittelt werden.“ Der Reichsparteitag 1936 offenbarte dann endgültig den Schritt für Schritt vollzogenen Wandel der Rechtfertigungskultur. „In seinen Reden in Nürnberg konzentrierte sich Hitler zur Festigung seines Machtanspruchs vorwiegend auf den Kult um seine eigene Person.“
Mit dem Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu Adolf Hitler beschäftigt sich auch eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, für die sich Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer als Kurator verantwortlich zeigt. Ab Ende September 2010 ist dort unter dem Titel „Hitler und die Deutschen“ der neueste Forschungsstand zur Geschichte des Nationalsozialismus zu begutachten.
In der nächsten Woche spricht Dr. York Kautt von der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen der Ringvorlesung zum Thema „Inaugurationen der Mediengesellschaft – der Fall Barack Obama“. Der Vortrag findet am Dienstag, den 12. Januar 2010 zwischen 18 und 20 Uhr im Hörsaal F2 im Fürstenberghaus statt. (log)