Spannende Einblicke in die Forschungswerkstatt
Erster „Tag der Graduiertenschule“ mit Vorträgen und angeregten Diskussionen
Beim ersten „Tag der Graduiertenschule“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ haben acht Doktorandinnen und Doktoranden spannende Einblicke in ihre Forschungsprojekte gegeben. Das Themenspektrum reichte von mittelalterlichen Ritterschlägen und frühneuzeitlichen Prozessionen über Zwangstaufen osmanischer Gefangener im Türkenkrieg bis zu Muslimen in Südafrika und jüdischen Gemeinschaften in Berlin. An die Vorträge schlossen sich angeregte Diskussionen zwischen dem wissenschaftlichen Nachwuchs und anderen Cluster-Mitgliedern aus ganz unterschiedlichen Disziplinen an.
Der Sprecher des Forschungsverbundes, Prof. Dr. Gerd Althoff, hob zum Auftakt den Mut der Promovendinnen und Promovenden hervor, schon früh im Arbeitsprozess „Einblick in ihre Werkstatt zu erlauben und Unfertiges vorzustellen.“ In der Regel sei es hilfreich, „sich früh der Kritik zu stellen“, so der Historiker. Der Tag der Graduiertenschule solle „kein Solitär bleiben, sondern eine schöne und entspannte Gewohnheit“ am Münsteraner Exzellenzcluster. Die Organisatorin der Veranstaltung, Historikerin Dr. Felicity Jensz, betonte, die Doktorandinnen und Doktoranden könnten von der großen Interdisziplinarität am Cluster, dem Wissenschaftler aus 20 Fächern angehören, profitieren. Dazu solle der „Tag der Graduiertenschule“ beitragen.
Wie wurde man zum Ritter?
"Wie wurde man im Mittelalter zum Ritter?", fragte Daniel Lizius. Der Mediävist zeichnete den Wandel des Begriffes in verschiedenen europäischen Regionen nach: "Ritter" habe zunächst die Funktion des berittenen Kriegers bezeichnet. Daraus hätten sich ein erblicher Stand, eine Idee und eine besondere Würde entwickelt. Lizius betrachtete die Erhebung in den Ritterstand als Initiationsritual zur Einführung in die Welt erwachsener Männer. "er ist nû volleclîche ein Mann", konnte über den in den Ritterstand Erhobenen gesagt werden. Lizius will in seiner Dissertation weiter untersuchen, wie sich der Ritterstand von anderen abgrenzte und welchen Einfluss religiöse Traditionen auf Rituale wie den Ritterschlag hatten.
Über den Umgang mit den Körpern von adligen „Selbstmördern“ der
Frühen Neuzeit sprach Historiker Florian Kühnel. Er unterschied zwischen
Ehrverlust und Unehrlichkeit: „Unehrlichkeit“ sei als „rituelle
Unreinheit“ zu verstehen. Ein Suizid habe einen „misslungenen Übergang
ins Jenseits“ bedeutet, weswegen Selbstmörder und Hingerichtete in der
Frühen Neuzeit häufig als Wiedergänger gefürchtet wurden. „Ständische
Ehre konnte vor dieser Unehrlichkeit nicht schützen“, so Kühnel. Er
vermutet, dass sich der Umgang mit „unreinen“ Körpern stark nach
sozialem Status unterschied: Ärzte und Anatomen hätten beispielsweise
auch die Leichen von Selbstmördern „ohne Skrupel“ berührt.
Prozessionen in der Frühen Neuzeit
Historikerin Kristina Thies schilderte, wie bei Prozessionen am Ende der Frühen Neuzeit die Darstellung biblischer Sequenzen in lebenden Bildern und auf Tragebühnen abgeschafft wurde. Als Beispiele wählte sie die Karfreitagsprozession in Augsburg und die Fronleichnamsprozession in Erfurt. Die Umzüge seien zunehmend als lächerlich und anstößig empfunden worden, hinter den Traditionen hätten aber auch politische und ökonomische Interessen gestanden. So setzten sich laut Thies in Augsburg die katholischen Ratsherren und in Erfurt ausgerechnet die protestantischen Gastwirte und Kaufleute für ein Fortbestehen der Prozession ein.
Schriftsteller Martin Mosebach stand im Mittelpunkt des Vortrags des Germanisten Matthias Schaffrick. Unter der Überschrift „Liturgie als sprachbildende Kraft“ setzte er sich mit dessen Verständnis von Autorschaft auseinander. Mosebach, der im Jahr 2007 den Georg-Büchner-Preis erhielt, hatte sich gegen die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgesprochen. Schaffrick ging vor allem auf Mosebachs Ausführungen zur Liturgie ein, die für das Autorschaftsverständnis des Schriftstellers wichtig sind. Der Autor liturgischer Texte verschwinde hinter einer Anonymität, die „Raum für das Sakrale“ lasse.
Taufe als "Akt der Freiheit"?
Geschichtswissenschaftlerin Manja Quakatz legte dar, wie osmanische Gefangene zur Zeit des Türkenkriegs zwischen 1683 und 1699 zu Christen getauft wurden. Die bislang untersuchten Quellen legen nach ihren Worten nahe, dass es kein einheitliches Taufritual gab, sondern eine große Heterogenität bestand. Die evangelische Taufe einer Osmanin in Dresden etwa wurde als Teil eines Gottesdienstes in der Schlosskapelle vollzogen, ein römisch-katholisches Taufritual in Wien dagegen stellte sich als eigenständiges Ritual mit Prozession und Schaulustigen dar. Stets wurde die Taufe als Akt der Freiwilligkeit inszeniert. Neben der Analyse der Symbole will Quakatz untersuchen, welche Handlungsspielräume sich für die osmanischen Gefangenen durch den Übertritt zum Christentum eröffneten.
Toleranz für mehrdeutige religiöse Praktiken
Ethnologin Julia Koch sprach über die religiösen Praktiken von Muslimen in Gujarat/Indien und Südafrika. Sie präsentierte Material von Feldforschungen in einem indischen Dorf und an zwei Orten in Südafrika. Die Überzeugungskraft religiöser Praktiken von indo-muslimischen Migranten in Südafrika und „Zu-Hause-Bleibenden“ stand im Mittelpunkt des Vortrags. Ein Zwischenergebnis von Kochs Forschung ist, dass unter den Muslimen in Südafrika und Indien zwar seit Jahrzehnten religiöse Eindeutigkeit propagiert werde, zugleich aber eine Toleranz für mehrdeutige Praktiken gepflegt werde.
Die jüdischen Gemeinden in Deutschland untersucht Soziologin
Eva-Maria Schrage in der Graduiertenschule. In ihrem Vortrag
„Säkularisierung oder Rückkehr der Religion?“ legte sie den Schwerpunkt
auf Bildungseinrichtungen der amerikanischen Ronald S. Lauder Foundation
in Berlin. Die Gemeinschaft um „Lauder Yeshurun“ stellt laut Schrage
eine „orthodox ausgerichtete Community“ dar und spricht vor allem junge
Juden aus der ehemaligen Sowjetunion an, deren Eltern säkular geprägt
sind und die auf Identitätssuche sind. Die Gemeinschaft spreche die
Jugendlichen über Bildungsangebote an und biete ihnen eine hohe
Gruppenintegration. Gegenüber anderen Strömungen im pluralistischen
jüdischen Milieu Berlins zeige „Lauder Yeshurun“ keine Abschottung,
sondern gehe mit Pluralismus offen um.