Göttliche Ordnung
"Lutheraner haben die Bedeutung von Ritualen zunächst unterschätzt"
Das hatte sich das Halberstädter Domkapitel fein ausgedacht: einen Zweijährigen zum neuen Bischof zu wählen, auf dass die hohen Herren im Fürstbistum während seines Heranwachsens weiterhin selbst schalten und walten mögen. Heinrich Julius war gerade einmal vierzehn Jahre alt, als er 1578 für volljährig erklärt und zum Fürstbischof geweiht wurde. Den besonderen Fall seiner Amtseinsetzung stellte Frühneuzeit-Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters "Religion und Politik" vor. Der Vortrag unter dem Titel "Das Zeichen des Antichrist" behandelte die Einsetzungsriten der Fürstbischöfe im Zeitalter der Glaubensspaltung.
"Einsetzungsrituale sind unverzichtbar"
Mit dem Zitat aus dem Vortragstitel spielten die Lutheraner damals auf die Tonsur an, die in der römischen Kirche Kleriker von Laien trennte, wie Stollberg-Rilinger erläuterte. Im Fall der Amtseinsetzung von Heinrich Julius könne dieses Symbol als Paradebeispiel für die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts gelten. "Es war gar nicht ungewöhnlich, dass die Rituale einer solchen Amtseinsetzung im Zeitalter der Glaubensspaltung noch nicht allzu starr festgelegt waren", sagte die Wissenschaftlerin. Neben regionalen Besonderheiten spielten nach ihren Worten oft politische Erwägungen eine Rolle. Die Einsetzung von Heinrich Julius verletzte aber die konfessionellen Grenzen derart, dass sich daraus ein reichsweiter Skandal entwickelte. So hatte der junge Bischof in einer ansonsten protestantisch geprägten liturgischen Feier die Tonsur empfangen, obwohl sie den Lutheranern als Indiz für die Zugehörigkeit zum katholischen Klerus und damit als "Zeichen des Antichrist" galt. Auch der Einzug des neuen Fürstbischofs in die Kirche geriet den reformatorisch gesinnten Gläubigen zu prunkvoll.
Der Fall Halberstadt zeigt laut Stollberg-Rilinger, dass eindeutige Einsetzungsrituale zur Grenzziehung gegenüber anderen Konfessionen unverzichtbar waren. Die Lutheraner hätten die politische Bedeutung von Zeremonien und Symbolen zunächst unterschätzt und sie als unwesentliche Äußerlichkeiten betrachtet. Erst im Verlauf der konfessionellen Zuspitzung sei klar geworden, dass sie als Unterscheidungszeichen notwendig waren.
In der nächsten Woche spricht Prof. Dr. Christel Meier-Staubach in der Ringvorlesung des Clusters über "Prophetische Inauguration und kirchliches Amt. Zur Funktion informeller Autorisierungen in der mittelalterlichen Kirche." Der öffentliche Vortrag beginnt am Dienstag, dem 1. Dezember, um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz. (bhe)