Im Anschluss an die Diskursanalyse des “Orientalismus” (Said 1977) und “Balkanismus” (Todorova 1997) in der poststrukturalistischen und postkolonialen Theorie gilt es im Hinblick auf Südosteuropa diese beiden Diskursformationen durch eine weitere zu ergänzen, die man aus Mangel an besseren Alternativen „Mediterranismus“ nennen könnte. Laut Derridas Lesart von Valerys erscheint das Mittelmeer paradoxerweise als das Kraftzentrum Europas an dessen Peripherie. Seit Ovids Erzählung über den Raub Europas durch den griechischen Gott Zeus in Gestalt eines Stieres ist das Mittelmeer das fluide Medium für die raumzeitlich metonymische und metaphorische Verschiebung und Verdichtung des inneren und äußeren europäischen Selbst und Anderen. Die literarische Einbildungskraft schafft das innere und äußere europäische Selbst und Andere negiert und integriert zugleich das Andere, das konstitutiv für das Selbst ist. Als Katalyst der europäischen Identitätsbildung, die zugleich Selbstautorisation und Selbstauthentifikation verbindet, treibt sie die Selbstunterscheidung des europäischen Selbst als Anderem, des europäischen Eigenen als Fremdem fort. Paradigmatisch lässt sich dieser imaginativ-literarische Prozess an der deutschen Literaturgeschichte seit dem Barock bis in die Gegenwartsliteratur hinein beobachten.
Öffentlicher Vortrag mit Dr. Tomislav Zelic von der Universität Zadar, Kroatien. Einige Plätze in der auf den Vortrag aufbauenden und vertiefenden Masterclass am nächsten Tag (09.02.17, Festsaal) sind für externe Interessierte noch frei. Anmeldungen können per Mail bei der Koordinatorin Dr. Maren Conrad (m.conrad@uni-muenster.de) erfolgen.