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Mastergleichung

Wir betrachten nun Gl. (6) für $t_3$ = $t_2+\tau$ mit kleinen Zeitdifferenzen $\tau$, um im Limes $\tau \rightarrow 0$ eine Gleichung für die Zeitableitung $\partial P/\partial t$ zu bekommen. Wir erhalten

\begin{displaymath}
p(x,t\vert x_0,t_0)
=
\int \!dx^\prime
 
p(x,t\vert x^\prime,t-\tau)
p(x^\prime,t-\tau\vert x_0,t_0)
,
\end{displaymath} (7)

für $t<t^\prime=t-\tau<t_0$. Wenn wir nun $p(x,t\vert x_0,t-\tau)$ für kleine $\tau$ taylorentwickeln wollen, müssen wir berücksichtigen, daß wegen der Normierungsbedingung
\begin{displaymath}
1 = N
= \int \!dx^\prime  p(x,t\vert x^\prime,t-\tau)
,
\end{displaymath} (8)

also $p(x,t\vert x^\prime,t-\tau)$ auch von allen $p(x^{\prime\prime},t\vert x^\prime,t-\tau)$ mit $x^{\prime\prime}\ne x$ abhängt. Schreiben wir also
\begin{displaymath}
p(x,t\vert x^\prime,t-\tau)
=\frac{p(x,t\vert x^\prime,t-\ta...
...ert x^\prime,t-\tau)}
=\frac{p(x,t\vert x^\prime,t-\tau)}{N}
,
\end{displaymath} (9)

(wobei wir die rechte Seite auch für unnormierte $p$ verwenden könnten), so erhalten wir durch eine Taylorentwicklung in $\tau$ = $t-t^\prime$,
$\displaystyle p(x,t\vert x^\prime,t^\prime)$ $\textstyle \approx$ $\displaystyle \underbrace{
p(x,t^\prime\vert x^\prime,t^\prime)
}_{\delta(x-x^\...
...ime,t^\prime)}
{\partial t}\Big\vert _{t=t^\prime}
}_{W_{t^\prime}(x\vert x_0)}$  
    $\displaystyle -
\underbrace{
\frac{1}{N^2}
}_{1}
\underbrace{
p(x,t^\prime\vert...
...\int \!dx^{\prime\prime} W_{t^\prime}
(x^{\prime\prime} \vert x^\prime)}
\Bigg)$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle \Big(1-\tau \int \!dx^{\prime\prime} 
W_{t^\prime}(x^{\prime\prime} \vert x^\prime)\Big)
\delta(x-x^\prime)
+ \tau W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle (1-\tau a_0) \delta(x-x^\prime)
+ \tau W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)
.$ (10)

Hierbei bezeichnet
\begin{displaymath}
W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)
=
\frac{\partial p(x,t\vert x^\prime,t^\prime)}
{\partial t}\Big\vert _{t=t^\prime}
,
\end{displaymath} (11)

die momentane Übergangsrate von $x^\prime$ nach $x$ pro Zeiteinheit und der Term
\begin{displaymath}
a_0(x^\prime,t^\prime)
= \int \!dx^{\prime\prime}   W_{t^\prime}(x^{\prime\prime} \vert x^\prime)
,
\end{displaymath} (12)

sorgt dafür, daß die Normierungsbedingung auch für das taylorentwickelte $P$ gültig bleibt. Wir setzten hier die Existenz von $W_{t^\prime}$ voraus, bemerken jedoch, daß im allgemeinen Gl. (10) nicht gelten muß [7,9].

Setzen wir jetzt für kleines $\tau$ die Taylorentwicklung (10) in die Chapman-Kolmogorov-Gleichung Gl. (7) ein, so finden wir für $t$ = $t^\prime+\tau$,

$\displaystyle p(x,t\vert x_0,t_0)$ $\textstyle =$ $\displaystyle \int\!dx^\prime 
\Big(
[1-\tau a(x^\prime,t^\prime)]\delta(x-x^\...
...e)
+ \tau W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)
\Big)
p(x^\prime,t^\prime\vert x_0,t_0)$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)[1-\tau^\prime a(x,t^\prime)]
+ \tau
\int\!dx^\prime  W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)p(x^\prime,t^\prime\vert x_0,t_0)$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)
+ \tau
\int
\Bigg(W_{t^\prime}(x\vert x^\prime)p(x^\prime,t^\prime\vert x_0,t_0)$  
    $\displaystyle -
W_{t^\prime}(x^\prime\vert x)p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)
\Bigg)   dx^\prime
.$ (13)

Bringen wir den Term $p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)$ auf die linke Seite, teilen durch $\tau$ und bilden den Grenzübergang $\tau^\prime\rightarrow 0$, so erhalten wir [für in $t$ stetige $W_t(x\vert x^\prime)$, $a_0(x,t)$, $p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)$, also z.B. $\lim_{\tau\rightarrow 0}
p(x,t^\prime\vert x_0,t_0)$ = $p(x,t\vert x_0,t_0)$] die sogenannte Mastergleichung
\begin{displaymath}
\frac{\partial p(x,t\vert x_0,t_0)}{\partial t}
=
\int \Big(...
...t x) p(x,t\vert x_0,t_0)
}_{\mbox{Verlust}}
\Big) dx^\prime
.
\end{displaymath} (14)

Die Gleichung läßt sich also als Bilanzgleichung verstehen, in der die Änderung von $p(x,t\vert x_0,t_0)$ gegeben ist in der Form Gewinn- minus Verlustterm bzw. Zufluß- minus Abflußterm. Die Fall $\tau \rightarrow 0$ bedeuted hier also, daß Mehrfachterme, wie z.B. einen Wechsel von $x$ nach $x^\prime$ und anschließend wieder zurück nach $x$, nicht berücksichtigt werden.

Für eine diskrete $x$-Variable wird Gl. (14) zu,

\begin{displaymath}
\frac{\partial p(x,t\vert x_0,t_0)}{\partial t}
=
\sum_{x^\p...
... x_0,t_0)
-
W_{t}(x^\prime\vert x)p(x,t\vert x_0,t_0)
\Big)
.
\end{displaymath} (15)

Analog erhält man für diskrete Zeiten eine Differenzengleichung (unter der Voraussetzung, daß pro betrachtetem Zeitintervall nur ein Übergang gemäß der gewählten Übergangswahrscheinlichkeiten stattfindet).

In abstrakterer Form läßt sich die Mastergleichung (14) schreiben als

\begin{displaymath}
\dot{p} = {\bf W}_t p
,
\end{displaymath} (16)

wobei $\dot{p}$ = $\frac{\partial p}{\partial t}$ und ${\bf W}_t$ einen linearen Operator darstellt mit Matrixelementen,
\begin{displaymath}
{\bf W}_t (x,x^\prime)
=
W_t(x\vert x^\prime)
-\delta(x-x^\prime)\int dx^{\prime\prime}  W_t(x^{\prime\prime}\vert x)
.
\end{displaymath} (17)

Gl. (16) hat für zeitunabhängiges ${\bf W}_t$ = ${\bf W}$ die formale Lösung
\begin{displaymath}
p(t) = e^{t{\bf W}} p(t_0)
,
\end{displaymath} (18)

die aber in der Regel nicht benutzt werden kann um $p$ zu finden. Bei diskreten $x$ wird ${\bf W}_t$ eine endlichdimensionale Matrix. Die folgenden speziellen Eigenschaften von ${\bf W}_t$ lassen sich leicht überprüfen
\begin{displaymath}
{\bf W}_t (x,x^\prime) \ge 0
\;\mbox{f\uml ur}\; x\ne x^\pri...
...d
\int \! dx  {\bf W}_t (x,x^\prime) = 0,
\forall x^\prime
.
\end{displaymath} (19)

Für daraus sich ergebende Folgerungen siehe zum Beispiel [9].


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Joerg_Lemm 2000-02-25