„Besondere Originalität“
Der Islamwissenschaftler und Arabist Prof. Dr. Thomas Bauer erhält den Tractatus-Preis des österreichischen Philosophicum Lech für seinen Essay „Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt“, der 2018 in der Reclam-Reihe „Was bedeutet das alles?“ erschienen ist. Mit der Publikation habe der Wissenschaftler einen „wertvollen Beitrag zur Standortbestimmung in philosophisch und gesellschaftlich relevanten Diskursen“ geleistet, wie die Jury die Verleihung begründete. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis für philosophische Essayistik gehört zu den bedeutendsten Auszeichnungen auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum und wird seit 2009 jährlich vom Verein Philosophicum Lech verliehen. Der Preis wird am 21. September 2018 in Lech am Arlberg bei einer Feierstunde übergeben.
Thomas Bauer vom Institut für Arabistik und Islamwissenschaft der WWU habe in seinem Essay „verfestigte Denkmuster und Vorurteile erschüttert“ und es dadurch ermöglicht, „die Welt in einem neuen Licht zu sehen“, wie die Jury mitteilte. Bauer belege seine These nicht nur mit „scharfen Beobachtungen aus vielen Lebens- und Kulturbereichen“, etwa vom Verlust der Vielfalt bei Apfelsorten bis zum religiösen Fundamentalismus, sondern argumentiere auch überzeugend, warum unsere Welt Mehrdeutigkeit brauche. Die Jury würdigte auch die „besondere Originalität“ des Essays: „Seine These ist überraschend. Wir leben nur scheinbar in einem Zeitalter unüberblickbarer Vielfalt. Tatsächlich verlieren wir immer mehr die Bereitschaft, Pluralität und Mehrdeutigkeit zu ertragen. Unsere ‚Ambiguitätstoleranz‘ schwindet“, so die Jury weiter.
Unter Ambiguitätstoleranz versteht Thomas Bauer die Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Menschen oder einer Gesellschaft, Mehrdeutigkeit auszuhalten, einander widerstreitende Werte und Wahrheiten nebeneinander stehen zu lassen, ohne auf die Geltung der eigenen Überzeugung zu pochen. Der Wissenschaftler hat das Wort aus der Psychologie auf die Ebene kultureller Mentalitäten übertragen und damit einen Begriff geprägt, der zu einem Neuverständnis des Islams geführt hat und zum hermeneutischen Schlüssel in den Kulturwissenschaften geworden ist.